1500 - Der Albino
bei einem Vampir.
Nein, nicht wie bei einem Vampir.
Das war ein Vampir!
Und dieser Blutsauger steckte voller Gier. Das weibliche Monster schrie und stieß immer wieder die Hände nach vorn, um sein Opfer greifen zu können. Es gelang ihm nicht, denn Lucio zog sich zurück, bis er die Wand im Rücken spürte.
Der Blutsauger schien in der Fensteröffnung festzustecken. Er kam nicht weiter, aber er zog sich auch nicht zurück. Unwillkürlich presste Lucio seine Handflächen gegen den Hals, weil er daran dachte, dass diese Wesen genau dort ihre Zähne hineinschlugen.
Der Blutsauger schaffte es nicht. Die Öffnung war zu eng. Aber hinter ihm passierte etwas, was Lucio nicht sah. Dort musste jemand erschienen sein, der die blutgierige Bestie packte und zurückzog.
So war es auch.
Sie wurde aus der Öffnung entfernt. Es war noch ein heftiger Schlag gegen ihren Körper zu hören, dann rannte sie weg, und das Echo ihrer Schritte verflüchtigte sich schnell.
Der Albino hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Er lehnte zum Glück an der Wand, die ihm einigermaßen Halt gab, sodass er nicht zusammenbrach.
Seine glatte und haarlose Gesichts- und Kopfhaut sah aus, als wäre sie von einem dünnen Ölfilm überzogen worden. Das Auftauchen dieser Wiedergängerin hatte ihn bis ins Mark getroffen.
Aber er wusste jetzt Bescheid, was ihn möglicherweise erwartete, und es musste noch jemanden geben, der dieses Weib weggezerrt und ihn somit gerettet hatte.
Eine Person, die auf seiner Seite stand?
Er unterdrückte seine Neugierde, die ihn sonst ans Fenster getrieben hätte. Es kam ihm auf die nächsten Sekunden an, da würde sich einiges ändern, das sagte ihm sein Gefühl.
Von draußen war nichts mehr zu hören. Er musste noch warten, bevor er etwas hörte. Draußen vor der Tür tat sich was. Das waren keine Schrittgeräusche. Jemand machte sich an der Tür zu schaffen.
Der Albino hielt den Atem an.
Lange musste er nicht warten. Jemand rüttelte an der Tür. Sie klemmte. Dann wurde sie aufgerissen. Aber es fiel kein Licht in das Verlies. Das Grau war auch vor der Tür vorhanden. Alles verschwamm in dieser Farbe, und einen Moment später schob sich eine Gestalt über die Schwelle.
Dem Albino fiel ein Stein vom Herzen, obwohl er nicht richtig glücklich werden konnte, denn dieser Mann sah nicht aus wie ein Retter. Es war derjenige, der ihn hierher geholt hatte.
»Ich heiße Saladin«, sagte er, »merke dir diesen Namen gut…«
***
Lucio würde ihn niemals vergessen, das stand fest. Er konnte nicht behaupten, dass er sich besonders wohl gefühlt hätte, denn als Freund konnte er ihn nicht ansehen.
Saladin stand da und breitete die Arme aus wie ein Priester.
»Willkommen in deiner neuen Welt«, sagte er und lächelte dabei wie ein Teufel. »Sie wird ab sofort dein Zuhause sein…«
Saladin hatte recht langsam gesprochen, damit der Albino auch jedes Wort verstand. Und er hatte es gehört. Das zu verkraften fiel ihm allerdings mehr als schwer. Bisher war er stets der Sieger gewesen. Allein durch sein Aussehen hatte er den Menschen Furcht eingeflößt, und nun war es umgekehrt.
Er war es, der Furcht empfand. Dieser Glatzkopf war kein Mensch, denn er war derjenige, der in dieser unwirklichen Welt bestimmte.
»Wo bin ich?« fragte Lucio so leise wie ein ängstliches Kind. »Verdammt, wohin hast du mich verschleppt?«
»In deine neue Heimat.«
»Wieso?«
»Verstehst du das nicht?«
»Nein.«
»Du willst es nicht verstehen. Kann ich mir denken. Du hast alles verloren, aber hier kannst du es neu aufbauen. Ein neues Gefühl für Heimat bekommen.«
Lucio sagte nichts. Die Worte hatten ihn hart getroffen.
»Wieso soll dies hier meine neue Heimat sein? Hat sie überhaupt einen Namen?«
»Ja, den hat sie. Es ist gut, dass du mich darauf ansprichst. Diese Welt hat einen Namen; Es gibt hier auch einen Herrscher. Es ist Will Mallmann. Man nennt ihn auch Dracula II.«
»Bitte?«
Saladin lächelte. »Und die Welt hier, die nennt sich Vampirwelt.«
»Wieso das?«
»Sie ist von Vampiren bewohnt. Von den Geschöpfen, die vom Blut normaler Menschen leben.«
Der Albino glaubte, sich verhört zu haben. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Aber dann erinnerte er sich an die Gestalt, die versucht hatte, sich durch das Fenster zu zwängen.
»Weißt du jetzt Bescheid?«
Der Albino schluckte. Er zitterte, seine Hände wollten einfach nicht ruhig bleiben, und dann war ihm plötzlich klar, dass er wirklich ein Gefangener
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