1511 - Der letzte Engel
Geräusch entstand. Suko sah von seinem Standplatz aus nur das leichte Spiel der Wellen, die von der Mitte bis gegen den Rand liefen.
Grundlos war das nicht geschehen. Und Suko sah noch mehr. Aus dem Wasser schoben sich zwei Hände, die Arme folgten, dann der Kopf der Hexe Lucy, und es war klar, was sie wollte.
»Justine, du solltest…« Zu spät.
Die Blutsaugerin hatte trotz ihres Instinkts noch nichts bemerkt. Sie war wohl zu stark abgelenkt, und so griffen die Klauen zu.
Sie verschwanden in den Achselhöhlen der blonden Bestie, hoben ihren Körper an und rissen ihn nach hinten.
Erst jetzt war Justine klar, was hier ablief. Sie wollte sich wehren, was ihr jedoch nicht mehr gelang, denn sie lag bereits waagerecht mit dem Rücken auf der Kante des Kessels.
Ein geringer Ruck reichte aus, und beide Gestalten tauchten in die heiße Flüssigkeit ein…
Das war etwas gewesen, mit dem Suko überhaupt nicht hatte rechnen können. Es machte ihn starr, und das kam bei ihm äußerst selten vor.
Nur gab es keinen Zweifel. Justine Cavallo war ebenso im Hexenbrunnen verschwunden wie Lucy, die Hexe, und es war beileibe keine Täuschung, denn der Platz, an dem sie zuletzt gestanden hatte, war leer.
Zwei, drei Sekunden brauchte Suko, um seine Starre zu überwinden. Er lief auf den Kessel zu, ohne sich um die Hexen oder die Quinlains zu kümmern.
Er schaute über den Rand hinweg in den Hexenbrunnen. Diesmal war die Oberfläche nicht mehr ruhig. Wellen zeichneten sie, bewegten sich hin und her, klatschten gegen die Innenwände des Kessels und verliefen sich.
Suko schüttelte den Kopf. Er sah nichts mehr. Beide Körper waren verschwunden, und das so schnell, als wären sie von einer fremden Kraft in die Tiefe gezogen worden.
Spielte hier der Teufel mit? War dieser Hexenbrunnen der Weg oder einer der Wege in sein höllisches Reich?
Die Antwort konnte wohl nur er selbst geben.
Suko hörte das hämische Lachen der Quinlains und drehte sich um.
»Jetzt bist du dran!«
Nicht die nette Familie wollte etwas von ihm, sondern die vier Hexen, die wieder Oberwasser bekommen hatten. Sie bildeten eine Kampf reihe und gingen auf den Brunnen zu.
Eine Blondine, die größte unter den Hexen, erklärte ihm, was sie vorhatten.
»Zwei liegen bereits im Brunnen, und es ist auch noch Platz für eine dritte Person…«
***
Was ist Zeit? Zeit ist etwas Relatives. Die Menschen haben sie nicht erfunden, aber sie haben ihr Regeln gegeben. So kann es sein, dass die Zeit mal langsam vergeht, dann wieder schneller, was jedoch immer auf den Zustand des Einzelnen ankam, der sich damit beschäftigte. Wer auf etwas wartet, für den vergeht die Zeit langsam. Wer jedoch etwas Unangenehmes vor sich hat, für den verrinnt die Zeit viel zu schnell.
Und bei mir?
Ich hatte das Gefühl, dass die Zeit nicht mehr vorhanden war. Sie war irgendwo verloren gegangen. Hier stimmten die Relationen nicht mehr. Ich nahm sie nicht wahr. Ich war unterwegs zu einem Ziel, das ich nicht kannte.
Meine Augen hielt ich offen.
Nichts war zu sehen. Es gab keine feste Umgebung. Was gab es überhaupt? Eine Leere zwischen den Dimensionen oder Zeiten? Selbst Engel sah ich nicht. Hin und wieder huschten Fetzen an meinen Augen vorbei. Ich hing im Griff des Engels, der sich X-Ray nannte, und hatte das Gefühl, dass die Zeit so raste.
Meine Gedanken wurden gestoppt. In meinem Blickfeld trat eine Veränderung ein. Zudem spürte ich meinen eigenen Körper wieder. Jetzt merkte ich, dass wir fielen.
Etwas Graues huschte an mir vorbei. Ich hörte das Leben, das sich aus Stimmen und den Lauten fahrender Autos zusammensetzte. Der Druck wich aus meinen Ohren, und dann spürte ich plötzlich wieder den Widerstand unter meinen Füßen.
Ich war da!
Aber wo?
X-Ray hielt mich noch fest, was mir recht war, denn der plötzliche Aufprall hatte bei mir einen leichten Schwindel hinterlassen, da war die Stütze schon von Vorteil.
Der Druck in meinem Kopf verschwand, und ich konnte von mir behaupten, dass ich mich wieder normal fühlte. Leider wusste ich nicht, wo ich mich befand, denn viel gab es für mich nicht zu sehen. Wenn ich die Augen öffnete, sah ich nur den weiblichen Engel, dessen Kleid auf den Körper gemalt war. Der hochnäsige Ausdruck in dem Frauengesicht war auch jetzt nicht gewichen. Möglicherweise konnte sie gar nicht anders schauen, aber sie nickte mir zu und sagte nur einen Satz. »Wir sind da!«
»Schön - und wo?«
»Du wirst es bald sehen. Ich habe dich nur an einen
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