1515 - Die Balkan-Bestie
verständigt hatten. So lange wollte Manescu nicht warten. Ihm war klar geworden, dass er sich auf dem richtigen Weg befand, und den würde er auch weitergehen. Es gab die Wölfe in Craia. Man hatte sie gesehen, und er würde versuchen, sie zu finden. Deshalb wollte er nach wie vor zum Brunnen gehen, wo man die Leiche gefunden hatte. Es konnte ja sein, dass er so etwas wie eine Ausgangsstation für die Tiere war.
Tiere?
Manescu verzog das Gesicht, als er daran dachte. Nein, diesen Mord traute er einem normalen Wolf nicht zu. Er hatte den Toten gesehen, sein Chef hatte nichts dagegen gehabt, und diese verdammte Wunde würde als Bild ewig in seiner Erinnerung bleiben.
Normale Wölfe hatten nicht diese Gebisse, um solche Wunden zu reißen. Dahinter steckte mehr.
Dass sich die BalkanBestie hier herumtrieb, schien sich zu bestätigen.
Vielleicht mit anderen, normalen Wölfen als Begleiter. Er hielt mittlerweile alles für möglich.
Diese Gedankengänge waren so etwas wie ein Antrieb für ihn, und er ging schneller.
Normalerweise war der Brunnen so etwas wie ein Treffpunkt für die Dorf Jugend, aber das war vorbei. Die Ereignisse hatten dafür gesorgt, dass sich niemand mehr an diesem Ort aufzuhalten wagte.
Der Brunnen kam in Sicht. Trotz des Dunstes sah Manescu, dass dort niemand war.
Er wusste nicht, ob er sich darüber freuen sollte oder nicht. Jedenfalls hatte er sich vorgenommen, an diesem Ort Wache zu halten. Wenn ein Feind erschien, würde er sofort schießen.
Er überlegte, wie er vorgehen sollte. Sich hinsetzen oder um den Brunnen herumlaufen?
Zunächst nahm er auf dem Sockel Platz. Er war noch nicht lange unterwegs, aber in der kurzen Zeit hatte sich schon einiges verändert. Es war stiller geworden. Die Dämmerung hatte sich noch nicht ganz zurückgezogen, und über ihm am Himmel war die große Lampe eingeschaltet worden. Ein bleicher Mond malte sich dort ab, als wäre ein Kreis in das Firmament geschnitten worden.
Manescu kannte die mondhellen Nächte. Da wirkte der Ort immer wie verzaubert. In diesen Stunden jedoch nicht. Sein Schein wurde durch den Dunst in einen milchigen Schleier verwandelt, der den Erdboden nicht erreichte.
Der einsame Mann musste warten. Seinem Chef wollte er keinen Bescheid geben. Er fühlte sich selbst verantwortlich. Er wollte die Bestie stellen und töten.
Nach einer Weile stand er auf und umrundete den Brunnen. So fiel es ihm leichter, in alle Richtungen zu schauen. Er sah in der Dunkelheit auch den nahen Kirchturm, der sich jetzt wie ein dicker Finger in die Luft erhob und ebenfalls von Nebelschwaden umflort wurde.
Eine Bewegung ließ ihn verharren.
Urplötzlich war der Schatten da. Einer auf vier Beinen. Der Gedanke an einen Hund kam Manescu gar nicht erst in den Sinn. Das musste einfach ein Wolf sein, der im Schatten einer Hauswand vorbeihuschte, dann plötzlich stehen blieb und ihm den Kopf zudrehte.
Der tut mir tatsächlich den Gefallen!, schoss es Manescu durch den Kopf. Er legte das Gewehr an, zielte und drückte trotzdem noch nicht ab, denn das Tier schien etwas gewittert zu haben. Mit einer blitzschnellen Drehung machte es kehrt und tauchte hinein in die Dunkelheit.
»Scheiße!«, flüsterte Manescu und ließ seine Waffe sinken. Er war davon überzeugt, einen Wolf gesehen zu haben. Dieser Körper war nicht mit dem eines Hundes zu vergleichen. Das war der verdammte Wolf, daran gab es nichts zu rütteln.
Nur einer? Oder gab es mehrere? War dieses Tier vielleicht die Vorhut?
Manescu wurde noch aufmerksamer. Er schlich jetzt um den Brunnen herum, sein Gefühl sagte ihm, dass er genau das Richtige tat. Er durfte nicht von hier verschwinden, und es machte ihm auch nichts aus, den Lockvogel zu spielen.
Noch war es still, fast zu still.
Bis er hinter sich das Kratzen hörte und zudem ein Geräusch, das mit einem Schnaufen zu vergleichen war. Manescu fuhr herum und sah die BalkanBestie sprungbereit direkt vor sich…
***
Der Mann schrie!
Um seine Schreie zu ersticken, hatte er ein Tuch genommen und es auf seinen offenen Mund gepresst. Er wollte nicht, dass man ihn hörte.
Er wollte die Schreie so gedämpft wie möglich halten, was verdammt nicht einfach war, denn die Metamorphose hatte begonnen.
Es würde eine schlimme Zeit werden, bis sich aus einem Menschen die BalkanBestie gebildet hatte. Noch kämpfte das Menschliche in ihm und wehrte sich, aber die andere Kraft in seinem Innern war einfach zu stark, als dass er erfolgreich dagegen hätte ankämpfen
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