1529 - Tochter, Mutter, Teufelssaat
konnte.
Eine Hexe! Ja, nur das konnte es sein. Ihre Mutter war eine Hexe. Und ich bin ihre Tochter!, dachte sie - grauenhaft. An ihren Vater wollte sie nicht denken. Sie schaffte es, diesen Gedanken tief in den Hintergrund zu drücken.
Das Dorf hatte Elisa hinter sich gelassen. Vor ihr lag die Straße wie eine Welle. Mal stieg sie leicht an, dann fiel sie ab, und es war nicht einfach, sie zu fahren, denn die so leicht aussehenden Anstiege machten ihren Beinen schwer zu schaffen. Zum Glück war Elisa eine gute Radlerin.
Dieser Weg besaß einen Nachteil und einen Vorteil der normalen Bundesstraße gegenüber. Von einem regelmäßigen Autoverkehr konnte man hier nicht sprechen. Wer durch die Gegend fuhr, der gehörte zu den Einheimischen, der Fernverkehr lief über die Bundesstraße und die Autobahn.
Auf der B 8 fühlte sich die Schülerin nicht sicher. Wenn sie gerade verlief, wurde sie oft genug als Rennstrecke benutzt, auch von den LKWs, und sie verspürte nicht die Lust, eines dieser vierrädrigen Monster dicht an sich vorbeifahren zu lassen. Sie hatte bereits erleben müssen, wie ein Luftzug sie beinahe aus dem Sattel geholt und sie mitsamt dem Rad zu Boden geworfen hätte.
An das Dorf und das Internat dachte sie nicht mehr. Wohl aber an ihre seltsame Mutter, wobei sie das Wort ablehnte. Das war nicht ihre Mutter, das war für sie eine völlig fremde Frau und ein Mensch, der diese Bezeichnung kaum verdiente.
Jedenfalls hoffte Elisa, weit genug weg zu sein, und sie fragte sich auch, ob ihr Verschwinden aus dem Internat schon bemerkt worden war.
Eigentlich nicht. Die Schülerinnen konnten den Tag recht selbstständig gestalten. Beim Essen am Abend würde es auffallen, es sei denn, Christine hatte die Nachricht schon gefunden und der Schulleitung die Flucht gemeldet. Wie würde man dort reagieren? Würde man die Polizei benachrichtigen oder erst mal abwarten?
Sie setzte darauf, dass die Polizei nicht eingeschaltet wurde und eine Suchaktion startete. Das hätte Elisas Pläne über den Haufen geworfen, und wenn man sie nach dem Grund der Flucht gefragt hätte, wer hätte ihr den Grund abgenommen?
Eine Hexe als Mutter? Den Teufel als Vater!? Lächerlich. Man hätte sie in eine Anstalt gesteckt - als Saat des Bösen vielleicht. Es war wirklich besser, wenn sie sich weiterhin allein auf den Weg machte und so viele Kilometer wie möglich schaffte.
Nur wenn es abwärts ging hob sie den Kopf und schaute nach vorne.
Führte der Weg bergan, beugte sie ihren Körper nach vorn und stemmte sich in die Pedale. Dann war nicht mehr das Abrollen der Reifen auf dem Untergrund zu hören, sondern nur mehr ihr Keuchen, bedingt durch die nicht zu unterschätzende Anstrengung.
Wieder hatte sie einen Hügel geschafft und ließ das Rad auf der ebenen Fläche ausrollen. Sie drückte den Rücken durch, stemmte die Hände in die Hüften und fuhr freihändig weiter. Es tat ihr gut, für einen Moment so sitzen zu bleiben, und ihr Blick schweifte über das hinweg, was vor ihr lag.
In der Ferne sah sie die Dächer einer kleinen Ortschaft. Die Landstraße führte an ihr vorbei und schlängelte sich auf ein Waldstück zu, das die Fläche der Felder unterbrach.
Die Schülerin beschloss, das Waldstück noch zu durchfahren und dann eine kleine Pause einzulegen. Ein Hungergefühl hatte sie überkommen, und jetzt war sie froh darüber, Proviant beim Bäcker gekauft zu haben.
Es war nicht besonders warm, aber sie war trotzdem ins Schwitzen gekommen. Von der Stirn rannen kleine Schweißtropfen nach unten. Ein sanfter Wind streifte über die flachen Hügel hinweg. Er tat Elisa gut, und sie stellte sich vor, bei jedem Atemzug ein Stück Freiheit mehr zu tanken.
Bis sie den Wald erreichte. Der Weg führte wieder nach unten. Eine Rechtskurve erschien vor ihr. Sie war weit geschwungen und der graue Belag wurde von der grünlichen Düsternis fast verschluckt. Der Übergang vom Hellen ins Dunkel bereitete den Augen leichte Probleme, und deshalb sah Elisa das Hindernis auch etwas zu spät.
Es stand mitten auf der Straße und war zu schnell aufgetaucht, um ihm ausweichen zu können.
Sie bremste hart!
Das Rad wollte ausbrechen, fing sich aber wieder, rutschte noch ein Stück vor, stand danach still, und Elisa hielt mit beiden Händen die Gummigriffe an der Lenkstange fest.
Dann hörte sie das Lachen. Es klang hämisch und zugleich so triumphierend.
Sie schaute nach vorn.
Das Lachen hatte bei ihr schon einen bestimmten Gedanken ausgelöst.
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