1529 - Tochter, Mutter, Teufelssaat
sah sie, was tatsächlich passiert war.
Direkt vor ihr stand Camilla!
***
Eigentlich hatte sie schreien wollen, aber dieser Laut blieb in der Kehle stecken. Sie stand zwar mit den Beinen auf der Straße, aber trotzdem bekam sie das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Was sie hier sah, glich einem Albtraum, das durfte nicht wahr sein. Leider war es eine Tatsache, vor der sie die Augen nicht verschließen und sie wegzaubern konnte, denn das Bild verschwand nicht.
Es war Camilla, und sie stand in all ihrer Scheußlichkeit vor ihr, die Elisa schon einmal erlebt hatte. Jetzt kam sie sich vor, als hätte man ihr kaltes Wasser über den Kopf gegossen, und sie fühlte sich sehr, sehr klein.
Das Lachen war verklungen, der Triumph, den ihre Mutter empfand, der war geblieben. Der Blick ihrer kalten braunen Augen war direkt auf die Tochter gerichtet, und ihr Gesicht war zu einer Grimasse verzogen.
»Wolltest du weg?«
Elisa war nicht fähig, eine Antwort zu geben. Sie musste sich erst fassen und holte mit schweren Atemzügen Luft. Zugleich rasten die Gedanken durch ihren Kopf, die sie wie schrille Schreie empfand. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass es ihre Mutter so schnell geschafft hatte.
Woher wusste sie, dass Elisa das Internat verlassen hatte? Eine Antwort kam ihr nicht in den Sinn.
Und dann fiel ihr ein, dass Camilla etwas Besonderes war. Sie war eine Hexe und sagte man den Hexen nicht nach, dass sie über besondere Kräfte verfügten und sogar zaubern konnten?
Sie hatte sich hergezaubert und…
Blödsinn, das gibt es nicht. Camilla muss einen anderen Weg gefunden haben.
Allmählich beruhigte sich ihr Atem. Der Schweiß auf der Stirn kühlte ab.
Wenn sie ihre Mutter anschaute, machte diese den Eindruck, als würde sie keinen Zentimeter zur Seite weichen.
»Ich habe dich etwas gefragt, Tochter!«
Das letzte Wort gefiel ihr gar nicht. Sie fühlte sich beileibe nicht als die Tochter einer derartigen Person. Das war einfach nicht zu ertragen.
»Ja, das hast du. Aber ich bin nicht verpflichtet, dir eine Antwort zu geben.«
»Ha, ha, du wolltest weg - oder?«
»Eine kleine Spazierfahrt.«
»Ach, deshalb hast du gepackt?«
Elisa bekam einen roten Kopf. Was wusste dieses verdammte Weibsstück denn noch alles?
»Aber ich lasse dich nicht gehen, Töchterchen. Ich habe noch einiges vor. Man kann von großen Plänen sprechen, und darin spielst du eine Hauptrolle.«
»Nein, die lasse ich mir nicht vorschreiben. Ich bin jahrelang ohne dich ausgekommen und werde das auch beibehalten. Hast du das gehört? Du interessiert mich nicht.«
»Willst du ungehorsam sein?«
»Meinetwegen auch das.«
»Ohhh, das mag ich nicht.«
»Es ist mir verdammt egal, was du magst und was nicht. Geh aus dem Weg. Ich will weiter.«
»Endstation für dich, meine Süße. Es ist vorbei. Ab jetzt gehen wir den Weg gemeinsam. Du bist alt genug, um zurück zu deinen Wurzeln zu finden. Jetzt folgt die zweite Hälfte des Märchens, und den Inhalt habe ich geschrieben.«
Elisa wusste sehr gut, dass diese hässliche Person nicht bluffte. Wenn es so weiterging, lief alles auf eine körperliche Auseinandersetzung hinaus, was Elisa letztendlich akzeptieren musste. Sie würde sich nicht von ihrem Plan abbringen lassen.
Noch traute sich die Schülerin nicht und musste die Worte ihrer Mutter verarbeiten. »Was sollte das bedeuten, dass ich zu meinen Wurzeln zurückfinden soll?«
»Ganz einfach. Zu mir kommen. Bei mir bleiben. Mutter und Tochter gehören zusammen.« Sie lachte und rieb ihre Hände. »Ich habe dich aufwachsen lassen. Ich habe dich in gute Hände gegeben, und ich habe mich gefreut, dich immer mal wieder zu sehen und deine Entwicklung zu beobachten.«
»Wie? Du hast mich gesehen?«
»Ja. Ab und zu.« Sie lachte kurz auf. »Nur hast du mich nie bewusst gesehen. Ich habe mich auch zurückgehalten, und du hattest zudem keinen Grund, mein Geschäft zu besuchen. Ich konnte und wollte dich sehen, und das hat mir ausgereicht. Jetzt bist du alt genug, um in meine Obhut zu gelangen. Du bist fast schon eine Frau. Man wird an dir seine Freude haben.«
»Wieso? Wer sollte an mir seine Freude haben? Ich… ich… kenne keinen, auf den das zutreffen würde.«
»Oh, das wird sich ändern.«
»Und wer…«
»Dein Vater!«
Sie schwieg. Sie presste die Lippen zusammen. Ihr Herz schlug plötzlich schneller. Elisa hatte sofort begriffen, wer mit ihrem Vater gemeint war, und sie musste nach Luft schnappen.
»Was ist los,
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