1531 - Dschungeltod
einzuschätzen. Wahrscheinlich näherten sie sich der fünfzig.
»Bitte, setzen Sie sich doch«, bat mich Alfonso Sanchez.
»Danke.« Ich nahm Platz.
»Darf ich Ihnen was zu trinken anbieten?« Mrs Sanchez hatte sich bereits erhoben.
»Bitte keine Umstände.«
»Ich wollte sowieso Kaffee holen.«
»Dann trinke ich gern eine Tasse mit.«
Sie ging gebeugt aus dem Zimmer. Wenig später hörte ich das Klappern von Geschirr.
Dass sie beide um diese Zeit kurz nach Mitternacht so gekleidet waren, ließ darauf schließen, dass sie noch nicht im Bett gelegen hatten. Sie sahen fast so aus, als wollten sie ihre Wohnung verlassen und wären nur durch mich gestört worden, denn auch Alfonso Sanchez trug so etwas wie eine Ausgehkleidung. Ein helles Jackett und eine dunkle Hose. Auch Schuhe hatte er angezogen. Das Haar des Mannes war sehr voll und pechschwarz. Er trug es gescheitelt. Der Kopf kam mir ein wenig zu breit vor. Auf der Stirn hatten sich zahlreiche Falten gebildet, und mir fiel auch die schmale Oberlippe auf.
»Ich wusste ja, dass Sie kommen würden, Mr Sinclair. Ramon Diaz rief mich an. Deshalb können Sie auch davon ausgehen, dass ich über die schrecklichen Morde Bescheid weiß.«
»Gut.«
»Ich verstehe es nur nicht. Zwei Morde, die so sinnlos sind. Wobei jeder Mord sinnlos ist. Und dann haben wir erfahren müssen, dass der Killer keinen Erfolg gehabt hat.«
»Nicht in dem Sinne, wie er es sich wohl vorgestellt hat«, sagte ich.
»Wollte er denn unsere Verwandten umbringen?«
»Nein. Außerdem war der Killer kein Mann, sondern eine Frau, die ich gesehen habe.«
Neben mir hörte ich einen leisen Schrei. Mit einem Tablett in den Händen hatte Maria Sanchez das Zimmer betreten und meine letzten Worte mitbekommen.
Hätte ich nicht blitzschnell zugegriffen, wäre ihr das Tablett aus den Händen gerutscht. So aber fing ich es auf und hielt es fest, denn sie wich einen Schritt zurück. So rettete ich den Kaffee und das Porzellan.
Maria Sanchez brauchte ein paar Sekunden, um sich wieder zu fangen.
Dann ließ sie es sich nicht nehmen, die kleinen Tassen zu verteilen. Sie hatte uns einen Espresso zubereitet, sehr dunkel und zudem sehr stark, wie ich feststellte.
Noch immer blass, setzte sie sich in einen der vier Sessel und flüsterte: »Habe ich das richtig verstanden? Sprachen Sie von einer Frau als Mörderin?«
»Ja.«
Sie schaute ihren Mann an. »Davon hat uns Ramon nichts gesagt.«
»Er wird seine Gründe gehabt haben, Maria. Aber die beiden Toten sind schon schlimm genug. Ich kann mir das alles gar nicht vorstellen. Wo liegt das Motiv?«
»Deshalb bin ich bei Ihnen«, nahm ich den Faden wieder auf. »Auch wenn es Sie schocken sollte, muss ich davon ausgehen, dass die Mörderin wohl nicht vorhatte, die beiden Bodyguards der Diaz zu töten. Sie hatte nur nicht gewusst, dass die Diaz nicht zu Hause waren.«
»Worum ging es dann?«, fragte die Frau.
Ich trank noch einen Schluck Kaffee.
Das Thema, das ich ansprechen wollte, war ebenso heiß.
»Ich habe die Mörderin gesehen, und zwar so gut, dass ich sie beschreiben kann. Deshalb sitze ich unter anderem bei Ihnen. Ramon Diaz hat mir etwas über Sie und Ihr Leben erzählt. Sie haben ihre Heimat verlassen und hier einen Job bekommen.«
Alfonso nickte. »Das ist genau richtig. Und wir haben alles zurückgelassen.«
»Auch Ihre Familie?«
Die beiden schauten sich an. Dann nickten sie und sie sahen aus, als wäre ihnen das Thema unangenehm.
»Wen?«, fragte ich nach.
»Die Tochter«, sagte Alfonso.
Nach dieser Antwort wusste ich, dass ich mich auf dem richtigen Weg befand.
»Wie heißt sie?«
»Tabea.«
»Und wie alt?«
»Vierundzwanzig Jahre.«
»Darf ich Sie um eine Beschreibung bitten?«
Beide zögerten etwas, dann überwand sich Maria Sanchez und gab mir die Beschreibung ihrer Tochter. Sie war sehr exakt, und sie beschrieb mir auch die langen schwarzen Haare. Allerdings sprach sie nicht davon, dass sie nackt war, aber für mich stand fest, dass keine andere als Tabea Sanchez als Mörderin in Betracht kam.
Ich sprach den Verdacht nicht aus. Das war auch nicht mehr nötig, denn beide sahen es meinem Gesicht an, dass ich bestimmte Gedanken wälzte.
»Nein, nicht?«, flüsterte Maria.
Ich nickte.
Sie schloss die Augen und fing an zu weinen. Ihr Mann saß starr auf seinem Platz. Sein Blick war auf mich gerichtet, und er bettelte beinahe darum, dass ich mich korrigierte. Leider konnte ich ihm den Gefallen nicht tun.
»Ihre Tochter ist
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