1533 - Ende der Sonnenzeit
von allen Seiten zu zeigen. „Tatsächlich", staunte er. „Du hast keine Brandblasen."
Saprin lächelte stolz. Sie ging an ihm vorbei und eilte in den Fels geschlagene Treppen hoch. Sie führten zu einer Höhle, die etwa zwanzig Meter hoch und einige hundert Meter tief war. An ihrer Decke klebten Tausende vor! wabenförmigen Nestern, die jeweils eine Öffnung an ihrer tiefsten Stelle hatten. An den Waben bewegten sich zahllose Rarapetsch entlang. Sie kletterten so geschickt zwischen ihnen herum, als gäbe es keine Schwerkraft.
Wasser überspülte den leicht abschüssigen Boden der Höhle. Es floß zu einem Abgrund hin, der sich wenige Meter von Saprin entfernt öffnete. Sie war überzeugt davon, daß er bis zum Herzen des Planeten hinabführte, denn aus seiner Tiefe flüsterte und zischte es, als seien die Geister in ein endloses Gespräch vertieft. Sie kam nicht,auf den Gedanken, daß die geheimnisvollen Geräusche vom Wasser erzeugt wurden, das über die Felskante hinweg in die Tiefe floß, über Vorsprünge gischtete und sich irgendwo weit unter ihr in der Dunkelheit verlor. Voller Ehrfurcht vermied sie es hineinzusehen, um die Geister der Toten dort unten nicht zu verärgern, die jeden allzu Neugierigen bestraften.
Sie kletterte unmittelbar neben dem Abgrund in die Höhe, sprang dann über mehrere Meter hinweg zur ersten Wohnwabe, packte eine Stange, die aus ihr hervorragte, und schwang sich an ihr weiter zur nächsten Wabe. An einem kleinen Vorsprung hielt sie sich fest und glitt geschmeidig weiter, wiederum den Schwung ausnutzend, den sie vorher genommen hatte. Daß der Boden der Höhle sich etwa zwanzig Meter unter ihr befand, berührte sie nicht, und sie dachte auch nicht daran, daß ein Sturz in die Tiefe unweigerlich den Tod zur Folge haben würde. Solche Gedanken hatten sie nie gequält - auch dann nicht, wenn direkt vor ihren Augen ein anderer die Haltepunkte an den Wabennestern verfehlte und abstürzte. Das war einige Male während ihrer Jugend geschehen, als sie zusammen mit anderen Jugendlichen durch die Höhlen getobt war und das Klettern dabei gelernt hatte.
Sie bewegte sich schneller voran, als sie auf dem Boden hätte gehen können, und erreichte schon wenig später einen großen Raum, in dem sich etwa hundert Männer und Frauen um einen Eiskegel versammelt hatten, der vom Boden bis zur Decke reichte. Das Eis hatte nur noch einen Durchmesser von etwa zwei Metern. Am Ende der Kaltzeit würde es fast den gesamten Raum ausfüllen, um dann während der Sonnenzeit allmählich abzuschmelzen. Saprin war sicher, daß er niemals ganz verschwinden würde, solange sich die Rarapetsch nicht gegen die bösen Geister und Dämonen verschworen und gegen die uralten Gesetze verstießen, die der mächtigste ihrer Urahnen in das Eis geschrieben hatte.
Die Männer und Frauen saßen und lagen in geflochtenen Matten, die sie unter die Decke gehängt hatten. Hier waren sie unerreichbar für die gefräßigen Eiskriecher, die auch während der Sonnenzeit überraschend aus der Tiefe heraufkamen, um über sie herzufallen. Saprin hatte es oft genug erlebt, daß allzu unvorsichtige Jugendliche von den Kriechern überrascht und blitzschnell in die Tiefe entführt worden waren.
Sie selbst war einem dieser unheimlichen Tiere nur ganz knapp entkommen, als sie zwölf Jahre alt gewesen war.
Ein Raunen ging durch die Menge, als Saprin sich in eine der Matten setzte und grüßend die Hand hob.
Die Männer und Frauen wandten sich ihr zu. Auch sie waren nicht nackt, sondern bedeckten einige Teile ihres Körpers mit Tüchern. Keines dieser Tücher aber hatte eine andere Farbe als Schwarz. Das wurde deutlich, als Katlat, der Magier, eine Flamme entzündete und einen Feuerball in die Tiefe fallen ließ.
Geblendet schlossen die Rarapetsch die Nickhäute ihrer Augen.
Saprin aber war auf diese Aktion vorbereitet. Sie hatte die Augen schon vorher mit den Händen abgeschirmt, und sie lachte, während die anderen gequält stöhnten. So leicht war sie nicht zu überraschen. „Es war, wie ich vorausgesagt habe!" rief sie, während die Männer und Frauen im Raum noch über das Wunder nachdachten, das der Magier vollbracht hatte. „Die bunten Tücher haben mich vor den bösen Geistern der weißen Sonne beschützt, so daß ich die Hitze ertragen konnte. Ich bin nicht verbrannt, wie ihr seht. Ich habe noch nicht einmal Brandblasen am Körper."
Ein alter Mann beugte sich zu ihr herüber. Er hatte einen breiten Schädel, auf dessen Seiten
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