1533 - Ende der Sonnenzeit
schlug die durchnäßten Tücher um ihre Schultern, richtete sich hoch auf und überquerte mit großen Schritten die Lichtung, deren Boden von dem Wasser in einen tiefen Morast verwandelt worden war. Erst als sie den Waldrand erreichte, wurde sie unsicher.
Würde sie den Eingang zu jenem geheimnisvollen Raum wiederfinden, in dem Rara seine Augen entblößt und seine Stimme erhoben hatte?
Das Land hatte sich verändert. Am Ende der letzten Kaltzeit hatte ihr Blick von dieser Stelle aus weit über das Land gereicht. Sie hatte sogar die Berge sehen können, die sich in der Ferne befanden. Die Hügel waren kahl und voller Eis gewesen. Der Eingang zum Raum der Zwiegespräche hatte frei vor ihr gelegen.
Doch jetzt mußte sie suchen.
Sie schob die Zweige der Büsche zur Seite, wich vorsichtig einer Schlange aus, die sich träge durch das Unterholz bewegte, und entdeckte plötzlich jene Öffnung, mit der sie sich in ihren Träumen schon seit Monaten beschäftigte.
Sie blieb stehen und blickte sich suchend um. Niemand war zu sehen. Kein Rarapetsch war ihr gefolgt, und von den Cryern schien niemand bemerkt zu haben, daß sie die Katakomben verlassen hatte.
Bei dem Gedanken an diese gefährlichen Wesen griff sie zu der Waffe, die in ihrem Gürtel steckte. Es war ein Energiestrahler, den sie erst zweimal in ihrem Leben abgefeuert hatte - einmal aus Versehen und ein weiteres Mal, um einen angreifenden Riesenprashkan, einen gefräßigen Tausendfüßler, abzuwehren, der in der Lage gewesen wäre, sie und fünf weitere Rarapetsch gleichzeitig mit dem gewaltigen Dorn auf seiner Stirn zu durchbohren. Voller Entsetzen erinnerte sie sich daran, welch unglaubliche Wirkung die Waffe gehabt hatte.
Das gefährlichste Tier von Sorbat war unter der Einwirkung der Gluthitze schlagartig gestorben.
Sie atmete auf. Rasch schob sie sich durch das Unterholz in die Öffnung. Eine Tür glitt zur Seite, ohne daß sie etwas dazu tun mußte, und gab den Weg in einen Raum frei, der gerade so groß war, daß sie darin stehen konnte, einem zweiten Rarapetsch aber keinen Platz geboten hätte. „Guten Morgen, Rara", grüßte sie atemlos. „Guten Morgen, Saprin", antwortete eine freundliche, dunkle Stimme, die ungemein beruhigend klang. „Du bist lange weggewesen."
Das metallische Lid eines quadratischen Auges öffnete sich. „Es war zu heiß", erklärte sie. „Ich habe dir erzählt, daß wir bei derartigen Temperaturen unter dem Boden bleiben, wo es erträglicher für uns ist."
„Ich erinnere mich."
Sie atmete auf, versuchte jedoch, die Erleichterung vor Rara zu verbergen. Dieses unbegreifliche Wesen brauchte nicht zu wissen, daß sie befürchtet hatte, wegen der langen Abwesenheit abgewiesen zu werden. „Ich habe dir etwas mitgebracht", sagte sie und stellte eine kleine Schale mit einigen Nüssen und gekochten Schnecken aus den Katakomben hin. „Eine besondere Köstlichkeit."
„Warum?"
„Um dir zu zeigen, wie sehr ich dich verehre und wie tief ich mich vor dir verbeuge."
Sie senkte den Kopf bis fast auf den Boden herab und richtete sich erst wieder auf, als sie ein leises Lachen vernahm. „Ich danke dir für dein Opfer", erwiderte Rara. „Es ist genug."
„Das nächste Mal bringe ich dir wieder etwas mit", erklärte sie voll Eifer. „Nicht nötig", wehrte das geheimnisvolle Wesen ab. „Es ist genug für alle Zeiten."
„Dann nimmst du mein Opfer an und wirst auf meine Fragen antworten?"
„Das werde ich."
Saprin atmete tief durch. Sie fuhr sich mit beiden Händen über den leuchtend roten Schädel. Ihre Augen bewegten sich ruckartig nach hinten. Sie meinte, ein Geräusch gehört zu haben. Erst als sie sicher war, daß sich niemand in ihrem Rücken befand, wandte sie sich wieder an Rara. „Es gibt außer uns Rarapetsch noch andere, die sich für intelligent halten", sagte sie. „Wir nennen sie die Cryer. Ich will gar nicht bestreiten, daß sie es sind, obwohl ich manchmal meine Zweifel habe.
Ich möchte nur von dir wissen, wer zuerst auf diesem Planeten war - die anderen oder wir?"
„Diese Frage ist leicht zu beantworten. Das Volk der Rarapetsch war es. Es existierte schon lange vor der Ankunft der Cryer auf Sorbat."
Saprin stieß einen Laut des Entzückens aus. „Das wollte ich wissen!" rief sie voller Begeisterung. „Doch wo waren die Cryer vorher? Die Weisen meines Volkes sagen, daß es kein Leben zwischen den Sternen geben kann, sondern nur hier auf Sorbat."
„Deine Weisen irren sich", erklärte Rara. „Es gibt
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