1533 - Ende der Sonnenzeit
Der Eingang mußte gesichert werden, damit sich nicht ungebetene Gäste einfanden, die ebenfalls darin überwintern wollten und die sie - Aspor und ihn - womöglich als „Vorrat" ansahen. „Sie werden uns von den Felsen ins Meer werfen und zusehen, wie uns die Dämonen in die Tiefe ziehen", sagte er mit gebrochener Stimme. „Oder sie schicken uns in der Kaltzeit nach draußen. Wir sind so gut wie tot."
„Tot sind wir erst, wenn wir aufgegeben haben", widersprach der Erste. „Und noch geben wir nicht auf. Der Götterbote soll uns helfen. Er soll uns einen Rat geben."
Sie erreichten die Lichtung mit der Wasserfontäne, die mit ungebrochener Kraft in die Höhe schoß. Wind war aufgekommen. Er hätte das hochschießende und weit oben abkippende Wasser eigentlich bis über die Wipfel der Bäume hinaustreiben müssen. Doch das tat er nicht.
Das Wasser prallte nur wenige Meter von der Fontäne entfernt auf ein unsichtbares Hindernis und gischtete daran herunter.
Aspor und Bespa glitten vom Rücken des Raffas. Staunend näherten sie sich der Fontäne und dem Hindernis. „Da ist eine unsichtbare Kugel", flüsterte der Zweite. Furchtsam hielt er sich hinter Aspor. Dazu zog er den Kopf ein und beugte sich nach vorn, um hinter dem kleineren Ersten Deckung zu finden. „Ein unerklärlicher Zauber!"
Aspor zitterte am ganzen Körper. Er hatte nie so etwas gesehen. Mehr denn je vermißte er Galilea Galilei, die er zwar nicht für eine große Wissenschaftlerin, aber doch für eine kluge Frau gehalten hatte. Sie hätte sicherlich eine Antwort auf das Phänomen gehabt, mit dem sie sich konfrontiert sahen, Bespa drückte ihm die Hände gegen den Rücken. „Geh hin zu dem Unsichtbaren!" forderte er mit schwankender Stimme. „Er befindet sich genau zwischen uns und dem Eingang zum Tempel des göttlichen Boten!"
Aspor stieß den Zweiten von sich. „Ich denke gar nicht daran. Es ist viel zu gefährlich."
Die beiden Männer zogen sich bis zum Waldrand zurück. Hier ließen sie sich in die Hocke sinken und blickten zu der Fontäne und dem unsichtbaren Hindernis hinüber.
Ein Fliegenbaum löste sich aus dem Wald gegenüber. Auf Hunderttausenden von haarfeinen Wurzeln bewegte er sich langsam auf die Fontäne zu. Seine sieben Äste ruderten durch die Luft. Mit ihrer Hilfe verlagerte der Baum sein Gleichgewicht, so daß stets andere Wurzelbündel die Hauptlast zu tragen hatten. An ihren Enden befanden sich die mächtigen Klebflächen. Sie sahen aus wie überdimensionale Ohren. An ihnen hatten sich Tausende von Fliegen gefangen, die nun vergeblich versuchten, sich wieder von ihnen zu lösen.
Bespa vergaß das unheimliche Hindernis für eine Weile. Er leckte sich die Lippen beim Anblick der Fangfächer. „Der Baum kommt wie gerufen", sagte er und schluckte mehrmals, weil ihm das Wasser im Mund zusammenlief. „Wir sollten uns eine von den Klebeflächen holen. Wir könnten tagelang davon naschen!"
„Das kannst du allein machen", wies Aspor ihn ab. „Ich will zum Götterboten. Alles andere interessiert mich nicht."
„Denk doch dran, wie wundervoll süß der Saft schmeckt!" bedrängte Bespa ihn. „Ich denke an etwas ganz anderes", erwiderte der Erste. „Zum Beispiel daran, wie wir unser Leben retten können."
Bespa beobachtete den Baum, der sich unmittelbar neben die Fontäne stellte und das herabregnende Wasser begierig in sich aufnahm. Er konnte verfolgen, wie der Stamm dabei aufquoll. „Unser Leben retten?" Der Zweite wandte sich Aspor überrascht zu. „Du meinst, es geht auch ohne den Götterboten?"
Aspor nickte. „Ich versuche jetzt, zu ihm zu kommen", entgegnete er entschlossen. „Ich laufe zu ihm hin.
Wenn es nicht klappt, erzähle ich dir, welchen Plan ich habe."
Bespa hielt ihn am Arm zurück. „Sag es mir lieber gleich", bat er und lächelte entschuldigend. „Vielleicht lebst du nachher nicht mehr. Dann weiß ich wenigstens Bescheid."
Aspor schnaubte wütend. „Ich bin immer wieder gerührt, wie besorgt du um mich bist", fauchte er den Zweiten an.
Bespa zuckte mit den Schultern. „Tut mir leid", erwiderte er, „aber irgendwie muß ich ja auch an mich denken - oder?"
Aspor antwortete nicht. Er rannte los. Wasser und Schlamm spritzten unter seinen Füßen hoch. „Götterbote!" rief er. „Laß mich ein! Ich muß mit dir reden!"
Vorsichtshalber verringerte er sein Tempo, als er unmittelbar vor der Wand war. Zugleich streckte er beide Arme aus. So wurde der Aufprall nicht ganz so hart. Dennoch war er
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