1533 - Ende der Sonnenzeit
wenige Frauen. Die meisten blieben stehen und blickten schweigend ins Leere. Sie wußten, daß viele Männer nicht mehr zurückkehren würden.
Saprin entschied sich für die Treppe. Langsam stieg sie die Stufen hinunter, bis sie den Wächter erreichte. „Du hast es also auch schon gehört", sagte er, als er sie sah. „Die Kaltzeit ist da. Das Wasser kühlt sich ab.
Eine Eisschicht bildet sich bereits."
„Öffne", bat sie. „Ich will nach draußen."
Er gehorchte wortlos und schob den Riegel zurück. Sie stieg durch die schmale Tür und ging zum Wasser.
Dann zögerte sie, weil sie sich fragte, wie Katlat reagieren würde, falls er sie sah.
Durfte sie als Frau sich so weit vorwagen, wenn die Männer in den Krieg zogen? Sie wußte es nicht, denn sie erinnerte sich nicht an einen Krieg. Vereinzelt hatte es Kämpfe gegen die Cryer gegeben, aber nie waren mehr als ein oder zwei Männer oder Frauen in sie verwickelt gewesen. Daß nahezu hundert Männer aufbrachen, um die Cryer zu töten, war noch nie vorgekommen.
Sie sprang kopfüber ins eiskalte Wasser.
Da sie von keinem Verbot wußte, konnte ihr auch niemand einen Vorwurf machen.
Mit ruhigen Bewegungen tauchte sie durch das nachtschwarze Wasser, glitt in einen Tunnel und erreichte schließlich den offenen See. Langsam stieg sie darin auf. Sie war nur Minuten unter Wasser gewesen und hätte es mehr als eine Stunde darin ausgehalten, ohne atmen zu müssen.
Als ihr Kopf durch die Wasseroberfläche stieß, spürte sie den Wind, der über den See strich. Er trieb ihr Schneeflocken ins Gesicht.
Sie schloß die Augen und genoß die Kälte. Für Sekunden vergaß sie die drohende Gefahr. Sie wollte sich keine Gedanken über Tod und Vernichtung machen, die über die Cryer kommen würden. Sie wollte nur die wohltuende Kälte in sich aufnehmen.
Doch dann hörte sie es rauschen, und sie spürte den Druck eines großen Körpers, der sich aus der Tief des Sees heraufhob und sich ihr näherte.
Der Todeszauber! dachte sie erschrocken. Katlat hatte ihn geweckt, um ihn gegen die Cryer zu richten!
Sie hatte schon viel von diesem unheimlichen Ding gehört, daß irgendwo in einer Höhle tief unter der Oberfläche darauf wartete, von einem Häuptling geweckt und gegen die Feinde der Rarapetsch geführt zu werden. In den Legenden hieß es, der Todeszauber sei unbesiegbar, da er über die furchtbarsten Waffen verfüge, die man sich überhaupt vorstellen könne.
Saprin konnte sich nicht vorstellen, wie furchtbare Waffen wirkten. Sie fand den Zauber, den Katlat verbreiten konnte, schon schrecklich genug, und sie hätte viel darum gegeben, wenn sie ihm diesen Zauber hätte nehmen können.
Sie wich dem Unheimlichen aus und schwamm in aller Eile zum Ufer. Dort kroch sie zwischen einige Felsen und richtete sich nur kurz auf, um sich vom Wind kühlen zu lassen.
Das Wasser begann zu brodeln und zu rauschen, und dann hob sich ein schwarzes, langgestrecktes Ding aus dem Wasser. Alle Männer, die Katlat begleiteten, standen darauf. Saprin konnte den Magier deutlich erkennen.
Er saß auf einer Erhebung. In seiner Hand hielt er eine Waffe.
Geblendet schloß Saprin die Augen, als ein sonnenheller Blitz daraus hervorzuckte und die Nacht erhellte.
Doch dann riß sie die Augen weit auf, denn ihr war etwas aufgefallen, das sich in der unmittelbaren Nachbarschaft von Rara aufhielt. Dort war etwas, das sonst nicht da war.
Das mächtige Ding, auf dem Katlat mit den Männern flog, näherte sich Rara, und jetzt erkannte Saprin, daß sich viele Gestalten auf der Lichtung bewegten, auf der vor wenigen Stunden noch die Fontäne gewesen war.
Cryer!
Entsetzt stöhnte sie auf. Jetzt war alles vorbei!
Katlat hatte die Cryer bereits angegriffen. Somit hatte der Krieg begonnen.
Erneut blitzt es auf, und dann explodierte etwas drüben auf der Lichtung.
*
Joon Wax strich sich lachend über seinen Schnauzbart. „Ihr beiden seht mich an, als käme ich aus einer anderen Welt", sagte er. „Nun gut, vielleicht habt ihr dabei nicht ganz unrecht, aber es ist nur die Erde, von der ich angereist bin. Mit einigen Umwegen.
Nicht direkt. Ihr versteht mich?"
„Natürlich verstehen wir dich", erwiderte der Dicke. „Mein Name ist Aspor. Das ist Bespa. Er ist mein Ehepartner."
Der Biochemiker blickte ihn verblüfft an.
Aspor begriff. Lachend schüttelte er den Kopf. „Nein, nicht, was du denkst!" rief er mit hallender Stimme. „Wir waren mit einer Frau verheiratet. Sie ist tödlich verunglückt.
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