1535 - Tanz der Nocturnen
solange sie nicht auf die gewohnten technischen Annehmlichkeiten verzichten mußten.
Mehr wollten die Hanseaten gar nicht, aber auch nicht weniger.
Wenn die Technik jedoch auf einmal keine Innovation durch Impulse von außen mehr erführe, wenn der Nachschub ausblieb, dann wäre das das baldige Ende der Zivilisation. Die Hanseaten waren zwar notgedrungen zu Meistern der Improvisation und des Recyclings geworden, aber ihnen fehlten die Mittel, Hi-Tech selbst zu erzeugen.
Das Hansekontor war im Jahre 429 NGZ nur als Handels Stützpunkt, als Umschlagplatz des Parataus errichtet worden und hatte 18 Jahre als solcher gedient. Doch bevor das Kontor noch weiter ausgebaut werden konnte, hatten die Nocturnen ihre Heimatgalaxis dichtgemacht. Danach waren die Hanseaten isoliert: Keine Raumschiffe konnten ins Fornax-System eindringen, niemand konnte mehr hinaus.
Das war vor nunmehr 724 Jahren gewesen, als das Kosmonukleotid DORIFER die kosmische Psi-Konstante auf normale Werte gesenkt hatte, was dazu führte, daß die Nocturnen die Absonderung von Paratau einstellten.
Und weil die Nocturnen keine Helfer mehr benötigten, die dieses für sie gefährliche Psichogon entsorgten, schirmten sie ihre Galaxis gegen alle Eindringlinge ab. Sie reagierten auf keine der bisher gebräuchlichen Passagesymbole mehr, durch die sie sich früher hatten lenken lassen, und zerstörten sämtliche auf fünfdimensionaler Basis arbeiteten Geräte all jener Raumschiffe, die in ihren Bereich kamen.
Dies war Geschichte, und jedes Kind erfuhr die Hintergründe bereits im ersten Schuljahr.
Dennoch waren nicht jedem Hanseaten die Zusammenhänge geläufig. Wer interessierte sich auch schon für Details wie den Moralischen Kode des Universums und die Funktion der Kosmonukleotide wie DORIFER, die in höhere Kosmologie hineinreichten.
Das Leben der Hanseaten war hart genug, und man ließ sich lieber durch Shows und actiongeladene Dokumentarberichte ablenken, als sich den Kopf mit wissenschaftlichen Abhandlungen schwer zu machen.
Nocturnentänze und Nocturnenklänge gehörte zu den schöngeistigen Dingen, die die Hanseaten erbauen konnten. Abenteuerberichte über Kaperfahrten und Enterkommandos sorgten für Spannung und Unterhaltung.
Nostalgische Dokumentationen über die Geschichte des Hansekontors und Sendungen über die Schwarmphase der Nocturnen und ihre Stockwerdung genügten dem Wissensdurst der Hanseaten. Dies alles waren Dinge, die für ihr Leben mitbestimmend waren, und daher waren sie bereit, dem Ablauf zu folgen und die Informationen aufzunehmen.
Beth hatte erst vor wenigen Tagen die Wiederholung einer Sendung gesehen, deren Letztausstrahlung am 20.
März 1127 Neuer Galaktischer Zeitrechnung gewesen war. Also vor 44 Standardjahren, 15 Jahre bevor sie geboren worden war. Der Titel der Dokumentation lautete „Der DORIFER-Schock und seine Folgen" und gab Auskunft über all jene kosmischen Zusammenhänge, für die sich der durchschnittliche Hanseat nicht interessierte.
Während Beth den Bericht fasziniert verfolgte, registrierte FTV Hunderte von Beschwerdeeingängen. Beth traf den verantwortlichen Redakteur zwei Tage später bei Inxters. Er war gefeuert worden und hatte vor, sich als Jäger und Fallensteller in die Nordpolregion zurückzuziehen. Er hatte bereits einige Notturnos intus, küßte Beth für ihre Danksagung die Hand und sprach die Überzeugung aus, daß Sendungen wie die über DORIFER nur alle fünf Jahrzehnte zur Ausstrahlung kamen, während sich die Hanseaten an Berichten wie den über die Aufbringung der KANSCH nicht satt sehen konnten.
So waren die Hanseaten nun mal.
Ja, und sie lechzten nach Klatschkolumnen wie Beths „Stadtrundgang". Der gefeuerte FTV-Redakteur hatte unter der Wirkung einiger Nock-Schocks auch noch einen Ausspruch getan, an den sich Beth jetzt, nach dem Gespräch mit Kennen Cyrian, wieder erinnerte. „Wir leben in einem Hi-Tech-Mittelalter", hatte er gesagt. „Und wir entwickeln uns kontinuierlich rückwärts.
Nicht mehr lange, und wir treten in die Hi-Tech-Antike ein. Irgendwann kommt dann die Hi-Tech-Steinzeit.
Glaub es mir, Mädchen."
Beth fröstelte.
Konnte Sie wirklich nichts tun, um diese Rückentwicklung aufzuhalten? Aber vermutlich lag es gar nicht an Sie. Es wäre ungerecht, dem „Schutzengel von Kontor Fornax" alle Verantwortung zu übertragen. Die Hanseaten täten gut daran, an sich zu arbeiten und sich zu ändern.
Beth schüttelte diese Überlegungen ab.
Es stand einer Klatschtante
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