1538 - Teufelspilger
noch verschwommen, das aber trotzdem real und keine Einbildung war.
Es hatte nichts mit dem Menschen zu tun, der gefunden worden war, aber wieso spukte mir da etwas im Kopf herum? Warum sah ich dieses Bild eines Menschen, dessen Gesicht nach rückwärts gedreht worden war? Das war alles andere als ein Zufall. Dahinter steckte Methode. Ich hatte irgendeinen Schub bekommen, der meine Gehirntätigkeit in Wallung gebracht hatte. Grundlos geschah das nicht, und eine innere Stimme befahl mir, weiter nachzudenken und nicht nachzulassen.
Ich öffnete die Augen.
»Wieder da?«, fragte Suko grinsend.
»Wie du siehst. Außerdem habe ich nicht geschlafen, wenn du das meinst.«
»Meine ich doch gar nicht.« Er behielt sein Grinsen bei und wollte dann wissen, was mich so intensiv beschäftigt hatte.
»Es war ein Bild.«
»Was für ein Bild?«
»Wenn ich das wüsste.«
»Ein Foto?«
Suko meinte es gut. Er wollte mir helfen, aber ich schüttelte den Kopf.
»Nein, es war kein Foto, und es war auch kein Gemälde, das ich in einem Museum gesehen habe. Es war etwas völlig anderes. Ein Bild, das ich nur von einem Abdruck her kenne.«
»Vielleicht in einem Buch?«
Meine Augen leuchteten auf. »Perfekt, Suko, das ist es! Ich habe dieses Bild in einem Buch gesehen.« Ich beugte mich weit vor, und Suko sah, dass ich meine Augen verengte. Das Nachdenken bei mir wurde noch intensiver und ich präzisierte meine Antwort, als ich sagte: »Das Bild habe ich in einem Buch gesehen. Es kann sogar sein, dass es damals bei Lady Sarah gewesen ist. Ich gebe zu, dass es schon länger zurück liegt, aber ich habe es genau vor Augen, und es war ein altes Gemälde oder ein Fresko, so sicher bin ich mir da nicht.«
»Dann hast du es ja bald.«
»Das nehme ich an.« Mit den Fingern der linken Hand fuhr ich über meine Stirn. Ich wusste, dass ich der Lösung nahe war, das Tor der Erinnerung stand spaltbreit offen. Ich musste es nur noch ganz aufstoßen, und das gelang mir auch.
»Jetzt habe ich es!«
Suko war gespannt. Er zeigte es zwar nicht nach außen hin, aber ich kannte ihn besser. Ich ließ ihn auch nicht mehr lange schmoren und kam gleich zur Sache.
»Es ist eine Gruppe von Menschen«, murmelte ich, »und wenn mich nicht alles täuscht, handelt es sich dabei um ein Fresko. Mir ist sogar sein Erschaffer eingefallen. Der Künstler war kein Geringerer als der große Dante, der seine Visionen der Nachwelt überlassen hatte. Er hat sich auch mit der Hölle beschäftigt und eine Gruppe von Menschen gemalt, die sich als Wahrsager bezeichneten.«
»Und was noch?«
»Sie haben ihre Gesichter auf dem Rücken gehabt und waren dazu verdammt, bis in alle Ewigkeiten rückwärts zu blicken. Es ist mir egal, ob es sich dabei um eine Illustration oder ein Fresko handelt. Es waren jedenfalls Wahrsager, die rückwärts blicken mussten. So gezeichnet bis zum Jüngsten Gericht.«
»Kompliment«, sagte Suko und nickte. »Dann könnten wir es bei diesem Unbekannten mit einem Wahrsager zu tun haben.«
»Das weiß ich nicht. Aber ausschließen will ich nichts. Ich bin nur froh, den Anfang des roten Fadens gefunden zu haben.« Das war nicht nur so dahingesagt, das meinte ich ehrlich, lehnte mich jetzt bequem zurück und atmete tief durch. Es stellte sich natürlich auch die Frage, ob ich nicht überspitzt gedacht hatte. Wahrsager hatte das Bild gezeigt.
Menschen, deren Gesicht nach hinten gerichtet war.
Warum? Nur weil sie Wahrsager gewesen waren, die etwas falsch gemacht hatten und dafür bestraft worden waren? Man hatte ihnen einen Blick in die Hölle erlaubt, und dabei war es um sie geschehen. Eine Bestrafung bis ans Ende der Zeiten.
Das klang alles sehr nach einem Kapitel der Apokalypse. Wenn man jedoch ehrlich war, musste man zugeben, dass unsere Fälle sehr oft apokalyptisch waren.
Suko klopfte auf den Tisch und zerstörte durch das Geräusch meine Gedankenwelt.
»Wie geht es weiter? Ich denke, dass es mit dem Bürodienst vorbei ist.«
»Und ob.« Ich stand schon auf. »Wir werden mal hören, was uns dieser Matt Lintock zu sagen hat.«
»Richtig.« Auch Suko erhob sich. »Und danach schauen wir uns im schönen Kent um.«
So weit dachte ich noch nicht, aber Suko konnte recht haben. Vielleicht bot uns diese Provinz ja einen Blick in die Hölle. Ausschließen konnte man nie etwas…
***
Es gibt nicht eben wenige Männer, die es nicht mögen, wenn ihre Haare grau werden, und die etwas dagegen unternehmen. Das war auch bei Matt Lintock der Fall.
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