1539 - In der Eastside
sich davon? Die Topsider können das doch gar nicht alles bezahlen!"
„Wahrscheinlich nicht", murmelte die Kartanin nachdenklich. „Dieses Geschäft würde sie total ruinieren, aber diese Aussicht wird sie nicht abschrecken können. Sie kennen diejenigen, die als ihre Geschäftspartner auftreten, und diese Leute wissen selbst nicht, was dahintersteckt. Bis die Topsider und ihre Freunde begreifen, daß sie sich mit Leib und Seele an die Kartanin verkauft haben, ist es längst zu spät."
Sie starrte auf den Bildschirm. Tschu-Man-H’ar wartete immer noch, mit der katzenhaften Geduld, die allen Kartanin zu eigen war. „Irgend jemand scheint da gefährliche Träume zu hegen", fügte sie leise hinzu. „Tschu-Man-H’ar?" fragte der Terraner ungläubig. „Traust du ihr wirklich zu, daß sie das Format dazu hat?
Dieser Plan ist zu groß, als daß sie ihn alleine ausgekocht haben könnte!"
„Da bin ich mir nicht so sicher", erwiderte Dao-Lin-H’ay nüchtern. „Sie ist die persönliche Assistentin der Höchsten Frau, und das wird man nicht ohne jeden Grund. Mich irritiert vor allem die Tatsache, daß das alles offensichtlich sowohl am Rat der Hohen Frau, als auch am Familienrat der H’ars vorbeiläuft. Das sieht nicht nach Mei-Mei-H’ar aus. Warum sollte sie ein solches Risiko eingehen und einen so gefährlichen Alleingang wagen? Der Familienrat hätte dafür sorgen können, daß niemand sie mit diesen Geschäften in Verbindung bringen könnte - und Tschu-Man-H’ar als ihre engste Vertraute auch nicht."
„Woher willst du wissen, daß der Rat nicht doch informiert ist?"
Dao-Lin-H’ay dachte darüber nach. „Er ist es nicht - und die Höchste Frau auch nicht", sagte sie energisch. „Mei-Mei-H’ar ist schon viel zu lange in ihrem Amt, um eine solche Sache so ungeschickt aufzuziehen."
Sie stand auf. Sie schien die Nachwirkungen des Giftes vollständig überwunden zu haben. „Ich werde zu ihr gehen und mit ihr reden", erklärte sie. „Jetzt? Sofort?"
„Je schneller, desto besser."
„Ich komme mit." Sie schüttelte den Kopf. „Das ist eine Sache, die ich mit Mei-Mei-H’ar unter vier Augen ausmachen muß."
„Kartanische Geheimnisse?" fragte Tekener spöttisch. „Nein. Aber Mei-Mei-H’ar ist die derzeit mächtigste Kartanin in diesem Sternenreich. Es könnte sein, daß ich ihr einige sehr unangenehme Wahrheiten sagen muß. Das wird sie besser verdauen, wenn kein Außenstehender dabei ist."
Sie wies auf den Bildschirm. „Hier ist eine Übersetzung all dessen, was ich gefunden habe. Viel Vergnügen damit!"
Dao-Lin-H’ay kehrte erst nach Stunden wieder zurück. Inzwischen hatte man Tschu-Man-H’ar verhaftet und die noch immer schlafende Kartanin ebenfalls abtransportiert. „Das war’s", sagte die ehemalige Voica und ließ sich erschöpft auf eines der Sitzpolster fallen. „Aber ich fürchte, daß das Thema an sich noch immer nicht abgeschlossen ist. Mei-Mei-H’ar hat zwar blankes Entsetzen gemimt, aber dabei sind ihr zu viele Zahlen durchs Gehirn geschwirrt. Wahrscheinlich ist sie schon jetzt dabei, sich auszurechnen, wieviel Profit sie bei diesem Geschäft herausschlagen kann."
„Wenigstens wird sie Tschu-Man-H’ars und Han-Shui-P’ons Verbindungen in der Milchstraße nicht mehr nutzen können", bemerkte Tekener. „Diese Suppe werden wir ihr gründlich versalzen."
Er mußte lächeln, als er an den Vorsatz dachte, den er in der Halle des Rates gefaßt hatte.
Es schien, als würde ihm im Endeffekt doch nichts anderes übrigbleiben, als sich auch weiterhin mit diesen Dingen zu beschäftigen. „Wird Mei-Mei-H’ar zurücktreten?" fragte er.
Dao-Lin-H’ay schüttelte den Kopf. „Sie ist wieder einmal davongekommen. Aber keine Angst - irgendwann kriege ich sie."
Der Sturm schleuderte einen Schwall von Hagelkörnern gegen das Fenster. Es prasselte wie von einer Ladung von Schrotkörnern. „Wir sollten diesen gastlichen Planeten verlassen", schlug Dao-Lin-H’ay vor. „Eine sehr gute Idee", lobte Tekener. „Nicht, daß es hier nichts mehr für uns zu tun gibt, aber wenn es danach geht, bleiben wir für alle Ewigkeiten hier kleben."
Erschreckend, wie leicht einem solche Redensarten über die Lippen rutschen! dachte er bitter. Er räusperte sich. „Zurück in die Milchstraße", sagte er energisch.
2.
4.6.1171 NGZ, Terra
„Nein!" sagte Dao-Lin-H’ay kategorisch und schloß die Augen, um anzudeuten, daß das Thema damit für sie beendet war.
Ronald Tekener hatte gelernt,
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