1542 - Die Würgehand
konnten, wo sie jeden Mut und jede Hoffnung verloren, weil die grausame Realität alles andere überrollt hatte.
Die Riesenhand schwebte weiterhin über dem leblosen Körper, der zusammengekrümmt war. Der Kopf lag so geknickt, dass Lydia nicht sah, ob Gordon noch atmete.
Aber sie hörte die Stimme des Würgers hinter sich.
»Er hat es nicht anders verdient, verstehst du?«, flüsterte Chikaze. »Er ist der Erste!«
Es waren schlimme Sätze für Lydia. Einen direkten Mord hatte Chikaze nicht zugegeben, dafür einen indirekten, und die Hoffnung, dass Gordon noch am Leben war, schmolz bei ihr immer mehr zusammen.
Sie wollte etwas fragen. Gedanklich schaffte sie es, die Worte zu formulieren, aber sie brachte sie nicht über die Lippen. Sie blieben regelrecht in ihrer Kehle stecken.
Außerdem wurde sie durch eine Bewegung der Pranke abgelenkt. Sie sackte wieder nach unten, und sie bewegte dabei den Zeigefinger und den kräftigen Daumen. Beide griffen zu.
Lydias Augen weiteten sich noch mehr. Sie wollte eigentlich nicht hinsehen, sie konnte nur nicht anders. Auch ihr Mund schloss sich nicht, denn was man ihr da zeigte, war ungeheuerlich. Daumen und Zeigefinger hatten so viel Kraft, dass sie in der Lage waren, den Körper in die Höhe zu hieven.
Er ist kein Spielzeug!, fuhr es ihr durch den Kopf. Nein, verdammt, das ist er nicht. Er ist mein Mann, den ich liebe!
Lydia konnte nicht sprechen, und so musste sie wortlos mit ansehen, was geschah. Und es war einfach nur furchtbar. Ihr Mann schwebte über dem harten Terrassenboden, und sie befürchtete, dass er mit der Hand im Nebel verschwand.
Noch hatte die Pranke eine gewisse Höhe behalten. Es war, als müsste sie sich erst noch entscheiden, aber Sekunden später ließen Daumen und Zeigefinger den Körper los.
Er fiel nach unten und schlug auf!
Lydia zuckte zusammen, obwohl sie kein Geräusch hörte. Sie begann wieder heftig zu zittern vor Angst und auch vor der schrecklichen Wahrheit.
War er tot?
Er musste es sein.
Noch immer leicht verkrümmt lag er auf der Seite. Der Rücken war dem Fenster zugedreht, sodass Lydia nicht sein Gesicht sah. Sie konnte sich nur vorstellen, dass es starr war. Dass sich kein Leben darin befand und dass dort ein toter Mensch auf den Fliesen lag.
Bei einem Fall aus dieser Höhe war es auch möglich, dass er sich Knochen gebrochen hatte. Unter Umständen sogar das Genick. Es waren schlimme Vorstellungen, die sie peinigten, und auch die Stille um sie herum passte dazu.
Bis sie von einem hässlichen Lachen durchbrochen wurde, um das sich Lydia nicht kümmerte, weil sie wissen wollte, was mit der verdammten Hand geschehen war.
Sie sah sie nicht mehr.
Die Hand war verschwunden. Eingetaucht in der weiße Masse, die das Haus umgab. Sie glaubte auch nicht mehr daran, dass sie so schnell wieder erscheinen würde, aber sie hatte einen Menschen zurückgelassen, der sich nicht mehr bewegte.
Eine Hand legte sich auf ihre linke Schulter und zog sie von der Couch.
Der Druck sorgte gleichzeitig dafür, dass sie nicht zu Boden fiel. Sie wurde festgehalten und blieb stehen.
»Na, wie hat dir das gefallen?« Chikaze war in seinem Element. »Dein Kerl hätte sich besser um andere Fälle gekümmert, nicht um meinen. Ich bin nicht zu besiegen. Ich habe es damals deinem Mann gesagt. Was glaubst du, wie er reagierte? Er hat mich ausgelacht. Er hat mich für einen angeberischen Idioten gehalten. Jetzt hat er seine Quittung bekommen, und zwar für immer. Er wird nicht mehr aufstehen, denn er ist so tot, wie man toter nicht sein kann.«
Der Würger lachte über seinen Vergleich. Er ahnte nicht, dass die Frau seine Worte gar nicht begriffen hatte. Sie hatte sie zwar gehört, aber das war auch alles. Für sie war nur wichtig, was sie sah, und sie stellte fest, dass sich der Nebel oder was immer dort lauerte, allmählich verzog.
Die Sicht wurde frei.
Sie sah den Garten, sie sah den trüben Himmel, sie sah die Bäume und Sträucher, doch das huschte alles an ihr vorbei. Eigentlich gab es nur eines, auf das sie ihren Blick richten konnte. Das war der leblose Körper ihres Mannes, der in seiner Kleidung aussah wie ein Bündel Lumpen.
Ein schrecklicher Vergleich, aber so dachte sie. Und sie konnte nicht weinen. Es liefen keine Tränen aus ihren Augen. Sie stand bewegungslos auf der Stelle und schluckte nur, was an den Bewegungen der dünnen Halshaut zu sehen war.
In ihrem Kopf schwirrten die Gedanken, die sie nicht in eine Reihenfolge zu bringen
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