1542 - Die Würgehand
verspürte den Schauer auf meinem Gesicht, auch bei Suko war er zu sehen, und in mir stieg das Gefühl hoch, dass wir möglicherweise zu spät eintreffen würden.
»Also«, fasste Sir James zusammen. »Ich würde vorschlagen, dass Sie so schnell wie möglich zu Gordon Flagstone fahren und nachsehen, was dort abläuft.«
»Geht in Ordnung, Sir.«
»Dann wünsche ich Ihnen viel Glück.«
Die Stimme unseres Chefs hatte sehr belegt geklungen…
***
Die Hand war da. Sie ließ sich nicht wegdiskutieren. Und sie schwebte über dem Körper ihres Mannes, der sie nicht sah, weil sie sich lautlos nach unten senkte.
Aber Lydia Flagstone sah sie, und sie riss den Mund zu einem Warnschrei auf. Sie würde laut rufen müssen, um gehört zu werden, aber der Würger hinter ihr ahnte, was sie vorhatte, und er stoppte ihren Warnruf bereits im Ansatz. Er drückte ihr seine Pranke in den Nacken.
Dabei drang der Befehl zischend aus seinem Mund.
»Kein Laut, hörst du?«
Lydia versteifte. Sie konnte nicht mal nicken und flüsterte irgendetwas.
Die Hand des Würgers zog sich wieder zurück. So war sie in der Lage, den Kopf anheben zu können, und sie schaute jetzt direkt auf ihren Mann, der sie ebenfalls gesehen hatte.
Er stand vor dem Fenster. Die Arme hatte er halb erhoben und die Hände gegen das Glas gedrückt. Sogar der Ausdruck seines Gesichts war für Lydia zu erkennen.
Er sah nicht aus wie sonst. So kannte sie ihn nicht. Überraschung und Entsetzen paarten sich in seinem Gesicht. Er hatte seine Frau gesehen, aber die Überraschung war so groß, dass er nichts unternehmen konnte.
Er musste mit diesem schlimmen Bild fertig Werden, denn den mehrfachen Mörder so dicht bei seiner Frau zu sehen, das musste für ihn so schlimm wie eine Folter sein.
Lydia traute sich nicht, ihm auch nur andeutungsweise zuzunicken. Ihr Mann befand sich in einer noch schlimmeren Lage als sie selbst. Über ihm schwebte noch immer die Riesenhand, die von einem hellen Schein umgeben war, den Gordon Flagstone nicht sah.
»Kein Wort, sonst bist du tot!«
Chikaze hatte seine Warnung nicht nur aus Spaß ausgesprochen. Er war ein mehrfacher Killer, und er würde sein Versprechen halten. Einem wie ihm machte es nichts aus, einen Menschen zu töten.
Die Hand senkte sich weiter.
Gordon Flagstone war weiterhin ahnungslos. Er bewegte sich sogar an der Scheibe entlang. Er suchte nach einem besseren Blickwinkel und löste eine Hand von dem Glas.
Lydia sah, dass sich die Hand ihres Mannes zur Faust ballte. Er würde damit gegen die Scheibe schlagen wollen, aber die Riesenhand über ihm bemerkte es. Als hätte sie Augen.
Mit einem Ruck fiel sie nach unten.
Lydia erlebte den schrecklichsten Augenblick ihres Lebens.
Ihr Mann wurde voll getroffen, und er sackte vor der Scheibe zusammen.
Es hatte so ausgesehen, als sollte er ineinander gedrückt werden wie eine Spirale.
Zu sehen war nichts mehr von ihm, weil die verdammte Pranke ihn verdeckte.
Lydia Flagstone konnte nicht mehr still bleiben. Der Druck musste sich freie Bahn verschaffen. Sie schrie nicht, aber sie schluchzte, und sie zitterte wie das berühmte Espenlaub. In ihrem Kopf spürte sie einen scharfen Schmerz, als würde jemand eine Nadel hineinstechen.
Noch immer war von ihrem Mann nichts zu sehen. Die Hand verdeckte alles. Und Lydia registrierte, dass es nur eine Hand war und sie keinen Arm sah, der dazugehörte.
Noch lag die Riesenhand auf dem Boden und bedeckte ihren Mann. Sekunden verstrichen.
Die Frau weinte leise. In ihrer Kehle brannte es. Sie konnte nicht mehr schreien, sie litt lautlos, aber sie wollte trotzdem sehen, was mit Gordon geschehen war.
Die Hand ließ sich Zeit. Erst nach einer geraumen Weile glitt sie wieder in die Höhe, wobei das nicht ruckartig oder schnell geschah, sondern recht langsam.
Und so sah Lydia wie in einem Zeitlupentempo, was mit Gordon los war.
Er lag auf dem Boden. Er war zu einem Bündel geworden, zu einem Bündel Mensch, das sich aus eigener Kraft nicht mehr würde erheben können. Und weil es so war, gab es eigentlich nur eine logische Erklärung.
Entweder war er bewusstlos oder tot.
Tot!
Dieser Begriff war für die Frau kaum zu fassen. Er schrillte durch ihren Kopf.
Sie glaubte, den Boden unter sich zu verlieren. Alles in ihrem Sichtbereich schien sich zu bewegen. Die Couch, auch das Fenster und der Boden dazwischen. So etwas hatte sie noch nie in ihrem Leben durchlitten, und jetzt merkte sie, dass auch Menschen an eine Grenze gelangen
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