155 - Kriminalfall Kaprun
ungeschützt verlegten Hydraulikleitungen erscheinen den neuen Experten unbedenklich und zulässig. Die Luftzufuhr hinter dem mit Faserwolle abgedichteten Holzverbau ist ihrer Ansicht nach für den Heizlüfter ausreichend. Die gesamte Einbausituation des Heizlüfters ist ihrer Meinung nach für die Brandentstehung ohne Bedeutung.
Dass beim Umbau des Zuges nie genehmigte, leicht entflammbare Materialien verwendet wurden, spielt für sie nun auch keine Rolle mehr. Das Feuer entwickelte so hohe Temperaturen, dass letztlich jedes Material brennen musste, argumentieren sie. Die ölgetränkten Bretter, über die sich die Verteidiger bei Muhr so aufgeregt hatten, verschwinden einfach. Auf einmal sind sie nicht mehr auffindbar.
Neu bewertet wird im Prozess nun auch der fehlende Brandschutz. Der Bericht der internationalen Kommission gilt wieder uneingeschränkt. Ein Gefahrenbild »Brand« war bei Bau, Genehmigung und Betrieb der Gletscherbahn unbekannt.
Dennoch legt Opferanwalt Stieldorf, der selbst seinen Sohn bei der Katastrophe verloren hat, Richter Seiss immer neue Beweise vor, die darauf hinweisen, dass es bei komplexen technischen Vorgängen das Gefahrenbild Brand immer gibt. Er informiert Seiss darüber, dass es sogar strikte Brandschutzbestimmungen beim Unterwasserschweißengibt, weil selbst mitten im Wasser mit der Entstehung von Bränden gerechnet werden muss.
Nach der Abkehr von seinem ersten Hauptgutachter wendet sich Manfred Seiss nun den neuen Gutachtern zu. Sie sind die Fachleute, auf sie muss er sich verlassen können. Und so übernimmt er ihre Theorien und Stellungnahmen. Für die Staatsanwältin wird es damit immer enger, weil sie unbeirrt an den Erkenntnissen Anton Muhrs festhält. Trotz aller gegenteiligen Bekundungen ist sie von der Plausibilität seines Gutachtens überzeugt.
Sie befragt die Gutachter immer wieder und erhält selten Antworten, die ihr schlüssig erscheinen, sondern neue und oft spekulative Entgegnungen, die jedoch Eingang in die Akten finden. Bei jeder ihrer Fragen wird das Muhr-Gutachten noch schlechter bewertet, während neue Beweise auftauchen, die stets die Beschuldigten entlasten und vom Richter übernommen werden.
Selbst als ein Gutachter die Chaostheorie bemüht, um zu beweisen, dass die »Hand Gottes« bei der Katastrophe im Spiel war und nicht menschliches Versagen und Schlamperei, hört Manfred Seiss zu. Der Gerichtsgutachter führt aus, dass, wenn ein Schmetterling im brasilianischen Regenwald mit den Flügeln schlägt, könnte dies durch mehr als Tausende von sich fortsetzenden Zufällen in Europa eine Katastrophe auslösen. So war das in Kaprun.
Im Oktober 2003 ist ein neues Gutachten über die Brandentstehung, die zur Katastrophe von Kaprun geführt hat, fertig. Der den Brand auslösende Heizstrahler ist demnach eine deutsche Fehlproduktion. Die Halterung des Heizsterns ist wegen eines Konstruktions- und Produktionsfehlers gebrochen, die glühende Wendel hat den Kunststoff des Heizlüftergehäuses berührt und damit in Brand gesetzt. Die Brandkatastrophe entstand also durch »Selbstentzündung« des Heizlüfters.
Im Kolpingsaal fragt niemand nach, warum denn nur bei den vier in Kaprun eingebauten Heizlüftern ein »gravierender Produktions- und Konstruktionsfehler« vorliegen soll. Von dem Heizlüfter-Typ wurden 670.000 Geräte weltweit zur vollen Zufriedenheit der Kunden verkauft. Eine Rückholaktion des vermeintlich brandgefährlichen Heizlüfters hat es nie gegeben.
Kapitel 31
Im Jahr 1933 gründet Heinz Kicherers Vater Wilhelm in Mühlacker das Familienunternehmen »Fakir«. Aus kleinsten Anfängen baut er seinen Betrieb auf und nennt ihn »Fakir«, ein Kürzel für Familie Kicherer. Mit Fleiß und schwäbischem Erfindergeist entwickelt und produziert er Maschinen und Apparate für die gewerbliche und häusliche Bodenreinigung. Das in seiner schwäbischen Heimat tief verwurzelte Unternehmen wächst. Im Zweiten Weltkrieg muss die Produktion umgestellt werden, aber dann, nach dem Krieg, kommt der Aufstieg. Wie bei vielen anderen unternehmergeführten Geräte- und Maschinenherstellern begründet sich in der Zeit des »Wirtschaftswunders« der gute Ruf des »Made in Germany«. Kicherer entwickelt zusammen mit seinen Mitarbeitern, mit erfahrenen und jungen ehrgeizigen Technikern und Ingenieuren technisch ausgereifte Produkte und wundert sich selbst, wie seine Geräte nicht nur in Deutschland breiten Absatz finden. Die Marke Fakir wird auch im Ausland immer
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