1550 - Die Frau aus der Knochengrube
an einigen Stellen die Absperrlichter darauf spiegelten.
Cutler musste einen Erdhügel umgehen und atmete tief ein, als er die Baracke sah, die so etwas wie das Zentrum der großen Baustelle bildete. Nicht weit entfernt führte die alte Straße vorbei. Er sah die Lichter der Scheinwerfer vorbeihuschen und hörte das ferne Geräusch der Fahrzeuge.
Er ging auf die große Baubude zu. Dort leuchteten zwei einsame Positionslichter.
Sie brachten nicht viel Helligkeit, denn das Gelände hinter der Baracke lag im Dunkeln. Und genau dort würde er auch die Knochengrube finden.
Er ging zwar weiter, doch diesmal bewegte er den Kopf immer wieder nach allen Seiten, weil er seine drei Mitstreiter suchte.
Sie ließen sich noch nicht blicken. Es konnte sein, dass sie noch unterwegs waren. Kommen würden sie auf jeden Fall.
Cutler warf auch keinen Blick durch das Fenster der Baubude. Sein Ziel stand fest, und da sich seine Augen an die Dunkelheit bereits gewöhnt hatten, war er in der Lage, es rechtzeitig zu erkennen.
Er hatte damit gerechnet, dass die Knochengrube abgesperrt worden war. Und er hatte sich nicht geirrt, denn das helle Trassierband flatterte leicht im Wind.
Der Boden war weich und schimmerte durch die Feuchtigkeit auf der Oberfläche.
Bernie Cutler ging bis dicht an die Absperrung und hielt an.
Vor ihm lag die Grube!
Er war über die Größe überrascht. Ein gewaltiges Viereck, dessen gegenüberliegende Seite mehr zu ahnen als zu sehen war. Zum Glück flatterte auch dort ein helles Trassierband.
Über ihm hatte sich der Himmel zugezogen. Kein Mond und kein Stern schickte sein Licht zur Erde.
Es war still um ihn herum.
Der Ausdruck in seinem Gesicht veränderte sich. Die Lippen zogen sich in die Breite und Glanz trat in seine Augen, als es ihm gelang, einen Blick in die Grube zu werfen, die tatsächlich mit Knochen gefüllt war.
Skelette, wohin er schaute. Fleisch-und hautlose Arme und Beine. Das Gleiche galt für die Schädel, die ihm vorkamen wie blanke Kugeln mit Löchern. Das Blut stieg ihm zu Kopf und verursachte ein heißes Kribbeln auf seiner Haut.
Sein Herz hämmerte. Nicht vor Angst. Es war vielmehr Freude oder Zufriedenheit, die es so reagieren ließ.
Die Knochengrube der Schattenfrau lag vor ihm. Es war ein Bild, das viele Menschen erschreckt hätte. Das war bei ihm nicht der Fall. Da gab es kein Erschrecken. Er hatte das Gefühl, endlich angekommen zu sein.
Ab jetzt konnte nichts mehr schiefgehen, auch wenn seine Freunde noch nicht da waren.
Bernie Cutler drehte sich um. Er sah die Baracke mit den beiden einsamen Lichtern, aber keine Bewegung dort, und so war ihm klar, dass er noch warten musste.
Oder nicht?
Es juckte ihn, das Absperrband zu überklettern. Von den Gebeinen fürchtete er sich nicht, denn er hatte gesehen, dass sie zwar dicht an dicht lagen, es aber trotzdem noch Wege zwischen ihnen gab, die begehbar waren.
Er stieg hinüber.
Es ging alles glatt. Auch auf der anderen Seite des Bandes konnte er noch stehen, denn bis zur Grube hatte er noch einen Meter freie Fläche.
Er schaute nach unten und stellte fest, dass er springen musste. Das gefiel ihm nicht, denn er wollte keine Gebeine zerstören.
Ein Gedanke trieb ihn dazu, erst einmal um die Grube herumzugehen.
Möglicherweise fand er an einer anderen Stelle eine bessere Gelegenheit zum Abstieg.
Das Glück stand weiterhin auf seiner Seite. Dort, wo die Grube einen der vier rechten Winkel bildete, sah er die Leiter, die ihm wie ein Geschenk des Himmels vorkam.
Das war es doch!
Ein langes Überlegen gab es nicht mehr. Er stieg die Sprossen hinab und freute sich darauf, dem Gebiet der Schattenfrau so nahe zu sein.
Es klappte wunderbar, und als er auf dem Grund der Grube stand, fühlte er sich den Toten so nah.
Bernie wusste nicht, wer die Menschen, die hier lagen, mal gewesen waren, aber sie hatten mit der Schattenfrau zu tun, und das war das Einzige, was für ihn zählte.
Seine Augen glänzten. Das Zittern hatte aufgehört. Er blickte sich um, weil er den besten Weg suchte, um die Knochengrube zu durchwandern.
Dann ging er los. Die Wege waren von übereinandergeschichteten Skeletten gesäumt. Jeder normale Mensch hätte Reißaus genommen. Er hielt sich zwar auch für normal, doch er sah sich dabei auf einer anderen Ebene.
Die Skelette taten ihm nichts. Er sah sie irgendwie als Verbündete im Geiste an, und mit diesem Gedanken setzte er seinen Weg fort und vergaß auch nicht, dass es noch Menschen gab, die zu ihm
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