1550 - Die Frau aus der Knochengrube
mich getrieben hat. Aber diese Stimme, die von mir Besitz ergriff, sie hat alles zerstört und…«
»Augenblick mal!«
Suko hatte sich auf den Monitor konzentriert und auch was gesehen. Wir schauten ebenfalls hin.
Es war das eingetreten, mit dem wir nicht mehr gerechnet hatten.
Die Schattenfrau war da!
***
In den folgenden Sekunden waren wir so überrascht, dass wir einfach nur auf der Stelle standen und nichts taten. Einziger Blickfang war und blieb der Bildschirm, der wieder den grauen Hintergrund zeigte, vor dem sich wie ein düsteres und leicht zittriges Gemälde die Umrisse der Geistererscheinung abhoben, die es auf magische Art und Weise geschafft hatte, sich die moderne Technik nutzbar zu machen.
Vanessa bekam es mit der Angst zu tun. Auf ihrem Stuhl fuhr sie eine halbe Schrittlänge zurück und schüttelte den Kopf, um damit anzudeuten, dass sie nicht mehr wollte.
Es war die Schattenfrau, obwohl wir sie anders kannten. Diese hier hatte zwar einen Kopf, aber kein Gesicht mehr, das menschliche Züge aufwies.
Ich wartete ab, was weiterhin geschehen würde. Irgendetwas musste die Geisterfrau ja wollen.
»Was soll ich tun?«, flüsterte Vanessa.
»Sie nichts.«
»Und…«
Ich legte einen Finger auf meine Lippen, um sie davon abzuhalten, noch mehr zu sagen, denn ich hatte das Zittern auf dem Bildschirm gesehen.
Etwas geschah mit der Erscheinung, die ihre Ruhe verloren hatte. Aber es war nicht auf uns gemünzt, sondern auf Vanessa, die plötzlich aufschrie und ihre Hände gegen die Schläfen drückte.
»Was haben Sie?«, rief ich.
»Sie ist drin!«, flüsterte sie. »O nein, sie ist drin! Das ist ja grauenvoll!«
Sie brauchte uns nicht zu erklären, dass sie eine Stimme hörte. Wir vernahmen sie leider nicht, die junge Frau umso deutlicher, denn sie schüttelte sich, als hätte man Eiswasser über ihren Kopf gekippt.
Suko trat hinter sie und legte ihr die Hände auf die Schultern. Vanessa ruckte auf dem Stuhl hin und her. Sie war zu einer anderen Person geworden. Etwas Böses steckte jetzt in ihr. Genau das durfte nicht so bleiben.
Vanessa litt. Sie wollte aufspringen, was Suko nicht zuließ. Er verstärkte den Druck auf ihre Schultern noch.
»Wir sollten was tun, John!«
»Ich bin dabei.«
Gelogen war das nicht, denn ich holte zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit mein Kreuz hervor. Wenn der Geist der Schattenfrau in Vanessa tobte, dann konnte das für sie schlimm enden.
Mit dem Kreuz in der Hand trat ich vor sie und hielt ihr meinen Talisman entgegen.
Ihr Gesicht war rot angelaufen. Die Augen waren aus den Höhlen getreten. Ihr Mund stand halb offen. Speichel rann über die Unterlippe bis hinab zum Kinn.
Ich senkte die Hand mit dem Kreuz. Jetzt konnte sie einfach nicht mehr daran vorbeischauen.
Und sie sah es!
Ihr Mund zuckte, und einen Moment später hörten wir den Schrei. Er war furchtbar. Als hätte sich in ihrem Innern ein Monster verbissen. Doch darauf nahm ich keine Rücksicht.
Ich drückte ihr das Kreuz gegen die Stirn, als sie den Kopf für einen Moment ruhig hielt. Zugleich beobachtete ich die Gestalt auf dem Monitor.
Dort erlebte ich Vanessas Reaktionen indirekt mit. Die Umrisse der Schattenfrau begannen zu zittern, was immer stärker wurde, und zwar so stark, dass es sie zerriss.
Vanessas Mund sprang praktisch auf. Ihre Augen drehten sich in den Höhlen - dann war der Anfall vorbei.
Suko merkte als Erster, was mit ihr geschah. Sie sackte in sich zusammen, und so nahm er seine Hände von ihren Schultern zurück.
Ich schaute zum Schirm hin.
Er war leer!
Ich konnte ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken. Zum zweiten Mal hatte ich dieser unheimlichen Person bewiesen, wozu mein Kreuz fähig war.
Vanessa atmete schwer und laut. Sie war in Schweiß gebadet. Noch zitterte sie, und das würde bestimmt noch länger anhalten. Aber wir hatten den Angriff der Schattenfrau pariert, und darüber konnten wir uns freuen.
Allmählich erholte sich die junge Frau. Mich wunderte es, dass sie sich umschaute, als wäre ihr hier alles fremd. Sie musste sich nur erst wieder an die Umgebung gewöhnen, inklusive uns.
»Sie war wieder da, nicht?«
»Ja«, bestätigte ich. »Aber die Schattenfrau hat es nicht geschafft, Sie zu übernehmen.«
Vanessa ging nicht darauf ein. Sie schaute schräg zu Boden.
»Das war schlimm«, sagte sie nach einer Weile. »Ich habe überhaupt nicht gewusst, was mit mir geschah.«
»Das haben wir Ihnen angesehen«, bestätigte Suko.
»Und jetzt?«
»Sie
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