1566 - Vermächtnis eines Helden
der Spalt und mündete nach einem weiteren Meter in eine unregelmäßig geformte Höhle.
Das Gewölbe hatte einen Durchmesser von etwa zwei Metern und war annähernd achtzig Zentimeter hoch. Es schimmerte in überwiegend grünen Farben. Von ihrem Boden stiegen Hunderte von nadelscharfen Kristallen auf. Zwischen ihnen funkelte Kristallstaub.
Lamndar Morcör glitt langsam über die Spitzen der Kristalle hinweg. Sie hatte sich flüchtig umgesehen, entdeckte aber nichts, was ihr wichtig erschien, und suchte nun nach einem Weg, der weiter in die Tiefe führte.
Plötzlich schrie Balian Mannt auf. Die hagere Physikerin schwebte hoch unter der Decke der Höhle. „Lamndar, paß auf!" rief sie. „Hinter dir."
Die Archäologin fuhr herum. Im ersten Moment begriff sie nicht, was geschah. Sie sah nur wirbelnden Staub, doch dann erkannte sie, daß sich Tausende von winzigen Kristallen zu einem humanoiden Gebilde formten. Es näherte sich ihr schwankend und taumelnd, als könne es sich nicht aufrecht halten, und wie hilfesuchend streckte es die Pseudo-Arme nach ihr aus.
Erschrocken wich Lamndar Morcör zurück.
Das Kristallgebilde war größer als sie. Von oben zuckte ein Lichtstrahl herab und tauchte es für Bruchteile von Sekunden in ein irritierendes Licht. Es war, als werde dem Gebilde durch das Licht Leben eingehaucht, denn plötzlich wurden die Konturen schärfer, und im unförmigen Kopf bildeten sich sogar Augen heraus. Doch dann brach die Gestalt in sich zusammen, und der Staub rieselte über die Nadeln auf den Boden zurück. „Hast du das gefilmt?" fragte sie. „Habe ich", bestätigte Jonna Trar. „Dazu bin ich ja da."
„Wir haben es alle drei gesehen", stellte Lamndar Morcör fest. „Es könnte wirklich gewesen sein."
„Wirklich?" fragte Balian Mannt. „Du glaubst doch nicht an eine psionische Vorspiegelung oder so etwas Ähnliches?"
„Das werden wir gleich haben", bemerkte die Journalistin. Sie ließ die Aufzeichnung zurücklaufen, um sich danach anzusehen, was im Bild war. „Nun?" fragte Lamndar Morcör. „Hat man uns getäuscht?"
„Wir haben gesehen, was war", eröffnete Jonna Trar ihr. „Es war also keine Täuschung." Die Archäologin ließ sich bis auf den Boden der Höhle sinken.
Vor ihr befand sich ein Spalt, der hinter einigen vorspringenden Kristallzacken verborgen gewesen war. Kühl, als sei nichts Besonderes vorgefallen, erklärte sie: „Hier geht es weiter."
Als sie in den Spalt eindrang, zögerten Balian Mannt und Jonna Trar. „Sollten wir nicht darüber reden?" fragte die hagere Physikerin. „Genau das werden wir nicht tun", erwiderte Lamndar Morcör. „Kommt jetzt endlich. Oder sollte ich mich für die falschen Begleiterinnen entschieden haben?"
„So eine Bemerkung ist unangebracht", kritisierte Jonna Trar. „Du solltest so etwas nicht sagen."
Zusammen mit Balian Mannt folgte sie ihr.
Lamndar Morcör lachte. „Manchmal heiligt der Zweck die Mittel!"
Sie bewegten sich durch einen steil in die Tiefe führenden Gang voran. „Warum willst du nicht über diese Gestalt reden?" fragte die Physikerin.
Lamndar Morcör zögerte keine Sekunde mit ihrer Antwort. „Weil Spekulationen nichts bringen!"
„Aber die Gestalt ist ein Beweis dafür, daß es hier irgendwo eine Intelligenz gibt, die uns zudem noch beobachtet", protestierte Balian Mannt. „Genau da beginnt die Spekulation", erwiderte Lamndar. „Und eben deswegen will ich sie nicht.
Durch nichts ist bewiesen, daß die Gestalt etwas mit Intelligenz zu tun hat. Möglicherweise wurde sie allein durch unsere Anwesenheit erzeugt, von uns selbst reflektiert. Dann allerdings kann man von dem Vorhandensein einer gewissen Intelligenz sprechen."
Darauf wollte Jonna Trar eingehen, doch die Leiterin der Expedition wies ihre Bemerkung mit einer energischen Geste zurück. „Wir konzentrieren uns auf das, was allein wichtig ist", erklärte sie. „Auf die Suche nach dem Modell des ESTARTU-Denkmals!"
Zögernd und ein wenig unwillig glitten die beiden anderen Frauen hinter ihr her.
Balian Mannt und Jonna Trar mißfiel, daß Lamndar nicht über die rätselhafte Erscheinung sprechen wollte. Sie hätten das Gespräch darüber gern fortgesetzt, doch als sie weiter und weiter in die geheimnisvolle Kristallwelt vordrangen, sahen sie ein, daß es sie nur abgelenkt hätte, darüber zu reden. „Du hast recht", lenkte Jonna Trar nach einiger Zeit ein. „Die Gestalt könnte so etwas wie eine erste Drohung gewesen sein. Es ist besser, sich auf
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