1573 - Grauen im Geisterschloss
Erkenntnis raste wie ein elektrischer Schlag durch ihr Gehirn.
Vor ihr stand der Mörder ihres Vaters!
***
Der Pfeil war unterwegs. Halbhoch jagte er auf mich zu. Das Ding war ungeheuer schnell und hätte mich über dem Gürtel in den Bauch getroffen. Ich hörte noch dieses leicht pfeifende Geräusch, und es gab nur eine Rettung für mich.
Ich warf mich zur Seite, prallte gegen die Wand und zog dabei den Bauch ein. Der Pfeil huschte an mir vorbei und richtete keinen weiteren Schaden an.
Sofort holte der Schütze einen weiteren Pfeil aus seinem Köcher auf dem Rücken und legte ihn auf.
Diesmal war ich schneller.
Ich stieß mich aus dem Lauf ab und rammte meinen rechten Fuß vor, der nicht nur seinen Bogen traf, sondern auch die Arme. Pfeil und Bogen landeten am Boden, und so hatte ich freie Bahn.
Ich packte ihn, wuchtete ihn herum und schlug seinen Hinterkopf gegen die Wand.
Kein Laut war zu hören. Ich wunderte mich nicht weiter darüber, wuchtete ihn noch mal dagegen und trat dann zurück, um mein Kreuz aus der Tasche zu holen.
Der Schütze richtete sich auf.
Das Kreuz brannte fast in meiner Hand. Es befand sich jetzt in der Aura des Kriegers, der keine normal lebende Person war, und wieder bewies mein Talisman, wie stark er war.
Der Krieger aus der Vergangenheit verbrannte. Allerdings fing er kein Feuer. Durch seinen Körper und auch über ihn hinweg zuckte etwas Helles. Es war das Licht meines Kreuzes, das seinem Dasein ein Ende setzte und dafür sorgte, dass er verging.
Es blieb nicht mal Asche auf dem Boden zurück. Ihn hatte sich seine Zeit geholt, und er würde nie wieder in unserer erscheinen. Selbst seine Waffen waren verschwunden.
Ich spürte noch das innerliche Zittern, das aber bald aufhörte.
Das Verschwinden des Kriegers hatte mich nicht überrascht. Zeit und Magie hatten eine Einheit gebildet. Und noch etwas hatte mich nicht besonders überrascht. Es war der Angriff dieses Schützen gewesen, denn das Geisterschloss war nicht allein erschienen.
Dieser Schänder hatte nicht allein in seinem Schloss gelebt. Für seine ruchlosen Taten musste er Helfer gehabt haben, und genau die waren uns bereits erschienen.
Es war still geworden um mich herum. Doch diese Stille wurde bald wieder unterbrochen, denn plötzlich waren um mich herum wieder die Stimmen, die ich schon kannte. Sie waren offenbar weit weg und trotzdem kamen sie mir sehr nahe vor.
Kinderstimmen…
Meinen Vorsatz, zur Treppe zu gehen, ließ ich erst mal fahren, wartete ab und lauschte.
Hatten sich die Stimmen verändert?
Ja, es konnte sein. Diese Botschaft aus einer anderen Welt hörte sich für mich fröhlicher und zufriedener an. Als hätte ich den Geistern dort einen großen Gefallen getan.
Sie wirbelten durcheinander. Ich hörte Freudenrufe und dazwischen mal ein befreites Lachen, als wollten sie mir mitteilen, dass sie mit meiner Tat zufrieden waren.
Zu sehen war natürlich nichts, und auch die Stimmen verklangen allmählich.
Ich erinnerte mich wieder daran, weshalb wir das Haus überhaupt betreten hatten, und bei dem Wörtchen wir stutzte ich.
Jenny Holland!
Sie hatte ich in den letzten Minuten völlig vergessen. Sie war nicht mit mir über die Treppe nach oben gekommen. Ich selbst hatte dafür gesorgt, dass sie unten blieb, und ich war gespannt, ob sie noch auf mich wartete. Auf der anderen Seite hätte sie schon etwas gehört haben müssen, und ich fragte mich, warum sie mir nicht gefolgt war.
Vor der ersten Stufe blieb ich stehen und rief ihren Namen halblaut nach unten.
Es gab keine Reaktion.
»Jenny…?«
Ich hatte etwas lauter gerufen, aber auch jetzt war von ihr nichts zu hören.
Auf einmal klopfte mein Herz schneller. Ich hatte sogar den Eindruck, die Echos in meinem Kopf zu hören, und spürte um die Herzgegend herum eine leichte Beklemmung. Die Stufen nahm ich in einem normalen Tempo und gab mir keine Mühe, leise zu sein. Um mich herum war es ruhig, denn auch die Stimmen der Kinder waren nicht mehr zu hören. Für mich war das Haus zu einem selbstständigen Universum geworden, und die Kälte, die ich spürte, war keine normale.
Etwas ging hier vor.
Im Flur drehte ich mich um die eigene Achse. Ich konnte auch in das Zimmer hineinschauen, in dem wir mit dem Arzt und der Schwester gesessen hätten, aber dort hielt sich niemand auf. Dr. Morton und Schwester Hilda waren nicht zu sehen. Es wies auch nichts auf eine Flucht hin, und allmählich kam mir der Gedanke, dass man die beiden geholt hatte.
Aber wo
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