1573 - Grauen im Geisterschloss
mein Gott, das kann doch alles nicht wahr sein.«
Die Frau war erschöpft. Es war ihr anzusehen, dass sie nicht mehr konnte.
»Bitte, lassen Sie mich allein. Ich - mir geht es schon wieder besser. Niemand hat bei dem Schänder eingegriffen. Alle hatten Angst vor ihm. Manche brachten ihm sogar ihre Kinder, wie ich Ihnen sagte. Aber das war nichts Normales mehr. Wir - wir erleben - nein, das will ich nicht. Wir sind unschuldig…«
Ich sprach noch einige Worte mit ihr, um sie zu beruhigen. Dann schlichen Jenny und ich aus dem Zimmer.
Im Flur blieben wir stehen, und Jenny, die ebenfalls blass geworden war, fragte mich mit leiser Stimme: »Kannst du das alles glauben, was du da gehört hast?«
»Im Prinzip schon.«
Sie schrak regelrecht zusammen. »Wieso das?«
»Das kann ich dir sagen. Weil ich schon öfter ähnliche Geschichten erlebt habe. Damals ist etwas Furchtbares geschehen. Seelen finden keine Ruhe. Sie sind verflucht und wahrscheinlich in einer Zwischenwelt gefangen. Sie können sie erst verlassen, wenn der Fall geklärt ist.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Es muss eine Bereinigung geben. Es muss alles so werden, wie es sein soll. Die Kinderseelen müssen ihre Ruhe finden, und das geht nur, wenn die grausame andere Seite, in diesem Fall der Schänder, endgültig seiner Bestimmung zugeführt worden ist. Um es plastisch auszudrücken: wenn er in der Hölle verbrannt ist.«
Jenny nahm es hin und fragte nur: »Und das ist er noch nicht?«
»Genau das glaube ich.«
Sie blies die Luft aus und strich über ihre Stirn.
»Das ist für mich alles neu, wenn ich ehrlich bin. Mit so etwas habe ich nicht gerechnet. Ich habe sogar an den Aussagen meines Vaters gezweifelt, aber jetzt muss ich wohl umdenken.«
»Das glaube ich auch.«
»Und was machen wir jetzt? Müssen wir raus und Kinderseelen retten? Ist es das?«
»Im Prinzip schon. Und wir müssen denjenigen zur Hölle schicken, der die Kinder so schrecklich missbraucht hat. Diesen seltsamen und perversen Adeligen.«
»Dann glaubst du also fest daran, dass er noch existiert?«
»Ja, das glaube ich.«
Jenny Holland verdrehte die Augen und presste die Lippen zusammen.
Sie wollte nichts mehr sagen. Aber unser Platz war nicht hier, sondern im Ort.
Der Überfall war bestimmt nicht auf dieses eine Haus begrenzt. Wir hatten das Geisterschloss gesehen, und wir konnten davon ausgehen, dass es inzwischen seinen Platz im Ort gefunden hatte.
Also gingen wir erneut los, aber diesmal mit anderen und ziemlich schaurigen Gedanken…
***
Die Stille hatte sich nicht verändert. Es konnte sein, dass sie noch unnatürlicher geworden war, aber das mussten wir in Kauf nehmen.
Wir gingen durch den Vorgarten und erreichten unseren Wagen. Ich hielt dort an, weil ich mein Kreuz nicht mehr verdeckt unter dem Hemd lassen wollte. Ich zog es unter der Kleidung hervor und hielt es für einen Moment auf meiner offenen Handfläche. Jenny Holland konnte es bestaunen. Der Anblick schien sie sprachlos gemacht zu haben. Erst nach einer ganzen Weile sagte sie leise: »Das also ist es.«
»Wie meinst du das?«
»Auch in meiner Firma weiß man über dich Bescheid. Man ist auch darüber informiert, dass du ein Kreuz bei dir trägst und es letztendlich sogar als Waffe ansiehst.«
»Das muss man. Es ist eine Waffe gegen das Böse. Gegen schwarzmagische Kräfte und Mächte. Es ist sehr alt, und es ist auch geweiht.«
»Kann ich mir denken.« Sie hob die Schultern. »Ich bin zwar keine Atheistin, aber ich habe mit Religion nicht viel am Hut. Darüber will ich auch nicht diskutieren.« Sie deutete auf meinen Talisman. »Aber bei diesem Kreuz habe ich schon gespürt, dass es etwas Besonderes ist. Nicht nur von seinem Aussehen her.«
»Sondern?«
»Kann ich dir nicht sagen. Ist schwer zu erklären. Es hat mich gleich beim ersten Hinschauen fasziniert.«
»Das freut mich.«
»Und du setzt darauf, dass es uns helfen kann?«
»Ja, ich habe vollstes Vertrauen.«
Sie lächelte. »Dann können wir ja gehen. Oder sollen wir fahren?«
»Nein, wir gehen. Aber wenn du dich im Auto sicherer fühlst, habe ich nichts dagegen.«
»Schon gut, wir laufen.«
Das taten wir auch. Um auf die Straße zu gelangen, brauchten wir nur zwei Schritte zu gehen. Schon spürten wir das Kopf Steinpflaster unter unseren Füßen. Wir nahmen den Weg in Richtung Zentrum und hielten unsere Augen weit offen.
Wo war das Schloss?
Vom Fenster aus hatte ich es gesehen, aber jetzt zwischen den Häusern war unser Blick
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