1574 - Töte mich, dunkler Spiegel
hatte verstanden.
»Ich habe hier nur eine Flasche Wasser, die ich dir bringen möchte. Du wirst Durst haben.«
Keine Antwort!
Keine positive und auch keine negative, was bei mir so etwas wie eine Hoffnung aufkeimen ließ.
In der Wohnung war es nicht eben kühl. Man konnte fast von einer stickigen Wärme sprechen. Da bekam man automatisch Durst.
Ich flüsterte den nächsten Satz wieder. »Fragen Sie noch mal nach.«
»Klar, mach ich. Bitte, Lena, sag etwas. Ich will auch nicht in dein Zimmer kommen. Du kannst die Tür öffnen, und ich reiche dir die Flasche.«
Die Spannung bei uns wuchs. Jetzt musste sie sich entscheiden. Ich hoffte, dass es zu unseren Gunsten ausfiel.
Tatsächlich, sie zeigte sich kompromissbereit.
»Gut, ich hole mir die Flasche Wasser.«
»Ich warte. Lena.«
»Sehr gut«. lobte ich die Frau mit leiser Stimme und veränderte meine Stellung. Ich drückte mich im toten Winkel der Tür mit dem Rücken gegen die Flurwand.
Noch zeigte sich Lena nicht. Sie ließ die Sekunden verstreichen.
Grace Wilcox wurde immer nervöser. Sie trat von einem Fuß auf den anderen, und auch mein beruhigendes Kopf schütteln konnte sie nicht lockerer machen.
Ja, und dann drehte sich der Schlüssel.
Es war so gut zu hören, weil er im Schloss kratzte. Das war der Augenblick, in dem Grace Wilcox erstarrte.
Und dann wurde die Tür endlich geöffnet. Nicht so weit, wie ich es gern gehabt hätte. Nur einen Spalt, aber sie ging nach innen auf.
Die Frauenhand war kaum erschienen, um nach der Flasche zu greifen, da bewegte ich mich vor und rammte mit meinem ganzen Körpergewicht die Tür.
Sie flog nicht nach innen, weil sie gegen einen Widerstand stieß. Aber der Körper des Mädchens war nicht schwer genug, um sie aufzuhalten.
Der Schrei schrillte in meinen Ohren, und wenig später stand ich in einem halbdunklen Zimmer, wo tatsächlich nur eine Nachttischleuchte Licht spendete.
Mein erster Blick fiel auf Lena Wilcox. Sie lag auf dem Rücken und hatte von dem Aufprall der Tür etwas abbekommen, denn ihr Gesicht zeigte einen schmerzlich verzerrten Ausdruck.
Lena Wilcox war ein blasser unscheinbarer Typ mit fahlblonden Haaren.
Auch sie wohnte hier im Haus, aber aufgefallen war sie mir noch nie.
An der Tür hinter mir erschien Grace Wilcox, die aufschrie, als sie ihre Tochter am Boden liegen sah.
Ich wollte nicht, dass die Mutter dabei war, wenn ich mit der Tochter sprach, und schickte sie deshalb zurück.
»Aber ich…«
»Keine Sorge, ich komme hier allein zurecht.«
Das sah Mrs. Wilcox ein und zog sich zurück. Sie schloss sogar die Tür hinter sich.
Lena lag weiterhin auf dem Boden. Sie traf auch keine Anstalten, sich zu erheben. Ich wunderte mich darüber, dass selbst in so blassen Augen der Hass funkeln konnte.
Ich streckte ihr die Hand entgegen.
»Wollen Sie nicht aufstehen, Lena?«
»Was soll das?«
»Ich möchte mit Ihnen reden.«
Sie schrie wütend auf und schlug mit beiden Fäusten gegen den Boden.
»Ich kenne dich, verflucht noch mal. Ja, ich kenne dich. Du wohnst auch hier im Haus. Ich habe dich schon einige Male gesehen. Du bist ein verdammter Bulle, wie?«
»Wenn Sie es so sagen, soll es mir recht sein.«
»Ich rede nicht mit euch.«
»Das sollten Sie aber.«
»Warum?«
»Weil ich Ihnen helfen will.«
Noch immer stand sie nicht auf, fing aber an zu kreischen, was mich nicht störte. Schließlich rollte sie sich auf die Seite, um wieder auf die Beine zu gelangen.
»Na bitte, geht doch!«
»Halt dein Maul!«
Ich ließ sie bis zum Bett gehen, auf das sie sich niederließ. Da hatte sie schon zuvor gelegen oder gesessen. Die Decke sah entsprechend aus.
Einen Stuhl gab es auch. Er war hellblau gestrichen. Den holte ich mir heran und ließ mich darauf nieder. Ich blickte Lena an und schlug ihr vor, vernünftig miteinander zu reden.
»Hau ab, du Mistkerl!«
»Gern, aber später. Erst müssen wir einige Worte miteinander reden. Es geht nicht nur um Sie. Da ist auch noch Ihre Mutter, die sich große Sorgen macht.«
»Ich bin alt genug. Sie hat mir nichts mehr zu sagen.«
»Die Sorgen aber bleiben.«
»Sie soll sich da raushalten.«
»Tut sie auch!«
Eine Hand schnellte vor, und ein ausgestreckter Finger zeigte auf mich.
»Und du ebenfalls.«
»Würde ich gern, aber das kann ich nicht. Ich habe Ihrer Mutter versprochen, Ihnen zu helfen, und das Versprechen möchte ich gern halten.«
»Mir braucht niemand zu helfen. Ich bin okay. Mir geht es sogar besser als
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