1586 - Wen die Rache trifft
den Antigravschacht. Eine unsichtbare Kraft erfaßte ihn und trug ihn sanft nach oben.
Eine starke Hand packte ihn und zog ihn aus dem Antigravschacht. „Onkel Liergyn", stammelte Laworn. „Du?"
Als der bullige Mann merkte, daß Laworn sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, nahm er ihn kurzerhand auf die Arme und trug ihn über den Gang in einen kleinen Raum, in dem seine Frau Laalloon und seine Kinder Lesa, Layka und Lalektat an einem gedeckten Tisch standen. Ein Servorob senkte auf unsichtbaren Antigravfeldern von der Decke Speisen herab. „Da ist er ja", sagte Lalektat mit vollen Mund und daher kaum verstandlich. „Wir haben uns schon Sorgen gemacht."
„Das sehe ich", erwiderte sein Vater mit einem mißbilligenden Blick auf seinen Teller, auf dem sich die Delikatessen türmten. „Außerdem scheinst du mal wieder Angst zu haben, daß du nicht satt wirst."
„Die habe ich immer", gab Lalektat zu. Er fuhr sich mit der flachen Hand über die Stoppel haare und schielte dann zu einem Teller hinüber, der sich von der Decke herabsenkte, um sich davon zu überzeugen, daß er auch von den darauf servierten Speisen seinen Anteil erhalten würde. Er schien den Schock überwunden zu haben, den er beim Anbück der beiden toten Frauen erlitten hatte.
Laworn kam allmählich zu sich. „Was war überhaupt los?" fragte er. „Das möchte ich auch wissen", erwiderte Liergyn. Er setzte sich zu seiner Frau an den Tisch, legte voller Sorge den Arm um sie und blickte sie prüfend an. „Bist du wirklich in Ordnung? Hast du das nicht nur so gesagt, um mich zu beruhigen?"
„Du brauchst dir keine Sorgen zu machen", antwortete sie. „Aber wie steht es mit dir?"
Er trank ein Glas mit Fruchtsäften aus. „Es tut jedenfalls nicht mehr weh", entgegnete er. „Die Wunden sind alle gut verklebt und werden rasch heilen. In ein paar Tagen bin ich wieder völlig gesund."
Sie schob ihren Teller von sich, obwohl sie kaum etwas gegessen hatte. „Ich begreife das alles nicht", gestand sie. „So etwas ist noch nie passiert!"
„Und ich würde gerne wissen, aus welchem Grund der Streit ausgebrochen ist", sagte Liergyn. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß es bei Verhandlungen über wirtschaftliche Probleme zu einer Schlägerei kommen kann."
„Darum ging es auch gar nicht", erklärte sie. „Mitten in der Verhandlung kam Frayesca von Tryolla mit ihrem Sohn herein.
Sein Gesicht und seine Hände waren tintenblau verfärbt.
Tintenblau! Sie war außer sich vor Wut und Empörung. Diese Farbe ist bei denen da drüben das Symbol der Dekadenz und des Verfalls. Verfaulendes Fleisch sieht blau aus. Sie behauptete, „hr Sohn habe diese Schande einem Angriff unserer Kinder zu verdanken und die Farbe sei nicht zu entfernen. Das löste den Streit aus. Plötzlich gab es ein fürchterliches Durcheinander, und dann prügelte eine Frau auf die andere ein. Schließlich gab es sogar zwei Tote. Wenigstens zwei. Es ist durchaus möglich, daß noch mehr Tote im Saal liegen. Wir jedenfalls haben nur zwei gesehen."
Liergyn griff sich entsetzt an den Kopf. „Tintenblau waren sie eingefärbt? Das ist allerdings ein Grund, der jeden von der anderen Sippe in Raserei bringen kann."
Die beiden Toten schienen ihn nicht so zu schockieren wie die eingefärbten Kinder. „Auweia!" sagte Lalektat. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und eröffnete seinem Vater, was Layka, Laworn und er getan hatten. Damit kam er Lesa zuvor, der er ansehen konnte, daß sie ganz sicher nicht schweigen würde.
Liergyn reagierte in der für ihn typischen Weise. Er sagte zunächst einmal gar nichts und dachte nach. Er ließ sich ein alkoholisches Getränk vom Servorob reichen, obwohl der Medorob es ihm verboten hatte, da Alkohol den Heüungsprozeß verzögerte. Es war ihm in diesem Moment egal. „Wenn es nicht so ernst wäre, würde ich mich kugeln vor Lachen über einen solchen Streich", bemerkte er, nachdem er getrunken hatte. „Ich gebe zu, daß wir als Kinder auch alles mögliche versucht haben, um die vom anderen Clan zu ärgern.
Auf einen derartigen Trick sind wir allerdings nie gekommen.
Leider ist euer Streich voll danebengegangen."
Er blickte seinen Sohn Lalektat forschend an. „Woher hattest du das Zeug?"
Lalektat wagte ein schüchternes Lacheln. Ganz so schlimm, wie er befürchtet hatte, schien die Sache für ihn doch nicht abzulaufen. „Mbro hat es mir gegeben", erwiderte er. „Mbro?" Liergyn runzelte die Stirn, und zwei tiefe Falten bildeten sich an
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