1590 - Prophet der Hölle
denn er versuchte sich vorzustellen, wer den Schuss abgegeben hatte.
Damian glaubte nicht, dass es bei dem einen Schuss bleiben würde.
Man war ihm auf den Fersen, und er rechnete damit, dass es mehrere Menschen waren.
Seine Augen starrten auf den Wald. Durch die Jahreszeit hatte er schon etwas von seiner Dichte verloren. An einigen Stellen war er ein ganzes Stück einzusehen, was dem Mann aber nicht unbedingt half, denn er sah keinen Feind und er entdeckte auch nichts von seinen Wölfen.
Dann hörte er wieder einen Schuss.
Erneut schrak er zusammen.
Sein Gesicht wurde noch bleicher. Und schon folgten die nächsten Schussechos, die ihm Schauer über den Rücken jagten und ihm die Gewissheit gaben, dass er es nicht nur mit einem Gegner zu tun hatte.
Jede Schussexplosion war für ihn wie eine körperliche Folter. Er stöhnte, er schüttelte den Kopf. Er wollte nicht mehr hinhören und musste trotzdem akzeptieren, was da geschehen war.
Die Echos rollten durch den Wald und waren wenig später verstummt, sodass wieder Stille eintrat.
Er hörte kein Heulen mehr. Kein Knurren oder ein heiseres Jaulen. Aber auch keine Stimme, die an seine Ohren gedrungen wäre.
Das Kribbeln auf seinem Rücken war verschwunden. Aber es war eine zweite Haut zurückgeblieben, die sich dort festgesetzt hatte.
Dass sich seine Feinde zurückgezogen hatten, konnte er sich nicht vorstellen. Er hatte in der letzten Zeit stets auf die Macht des Teufels gesetzt. Er war der Prophet, er hatte den Menschen ihr Ende ankündigen wollen. Alles war jetzt vergessen, denn nun drehten sich seine Gedanken um profanere Dinge.
Er verfluchte den Mann, dem es gelungen war, mit dem Transporter zu fliehen. Der Wagen wäre jetzt eine Fluchtmöglichkeit gewesen, aber davon konnte er nur noch träumen.
Damian wusste auch, dass er nicht mehr lange hier am Waldrand stehen bleiben konnte. Ihm musste etwas einfallen. Völlig wehrlos war er nicht.
Seine Soldaten erwarteten seine Befehle. Sie waren für ihn mehr als nur Menschen. Sinnbildlich waren sie durch das Feuer der Hölle gegangen und gestärkt daraus hervorgetreten.
Sie mussten die Lage wieder korrigieren, und sie würden es auf ihre Weise tun.
Den Eingang zur kleinen Kapelle hatte er schnell erreicht und huschte über die Schwelle.
Seine Helfer standen noch dort, wo er sie zurückgelassen hatte. Sie schauten ihn mit seelenlosen Blicken an, wie er meinte. Er las in ihren Augen nicht das geringste Gefühl.
Sie zuckten nicht mal mit den Händen, und auch in ihren starren Gesichtern tat sich nichts.
Damian ließ seine Blicke über sie hinweg gleiten. Er sah ihre schmutzige Kleidung. Bei einigen zeigten sich Löcher. Trotz des verschiedenen Alters waren sie ihm alle durch das Internet hörig geworden, und das würde für alle Zeiten so bleiben, so lange sie existierten.
»Wir sind nicht mehr allein!«, sprach er sie mit seiner rauen und flüsternden Stimme an. »Man hat uns entdeckt. Man will uns vernichten, aber ich sage euch, dass ich dies nicht zulassen werde. Ich lasse mir mein Leben nicht zerstören, habt ihr das gehört?«
Sie gaben ihm keine Antwort. Ihre Blicke blieben weiterhin kalt und leer.
»Und jetzt steht ihr vor eurer größten Aufgabe«, flüsterte er weiter. »Vor der allergrößten, das kann ich euch versprechen. Ihr werdet in den Wald gehen und nach unseren Feinden Ausschau halten. Wenn ihr sie seht, werdet ihr sie töten. Ihr schafft das, da bin ich mir sicher. Es geht kein Weg daran vorbei. Ihr werdet euch auf eure Stärken verlassen, die euch die Hölle mit auf den Weg gegeben hat. Jetzt könnt ihr beweisen, zu wem ihr wirklich gehört. Ich habe euch auf den Teufel eingeschworen, und ihr habt freudig zugestimmt. Ihr wolltet an seiner Macht teilhaben. Das ist nun geschehen. Die Hölle besitzt eure Seelen. Ihr seid nur noch die Hüllen, aber ihr müsst beweisen, dass ihr würdig seid, zu dieser Gemeinschaft der wahren Welt zu zählen. Geht, packt sie und tötet sie!«
Damians Rede war vorbei. Sie hatte ihn angestrengt. Sein hässliches Gesicht hatte sich gerötet. Er wusste, dass er dicht vor seiner größten Bewährungsprobe stand, und setzte voll auf die Macht, der er sich anvertraut hatte.
Eine Antwort erhielt er nicht. Er war nicht mal sicher, ob seine Soldaten überhaupt normal sprechen konnten. Das war ihm auch völlig egal. Es zählte einzig und allein, dass sie ihn begriffen hatten und ihren Auftrag ausführten.
Die Tür stand noch weit offen.
Mit einer Handbewegung
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