1592 - Der Tiermensch
der Frau schien ihn sezieren zu wollen.
»Er ist ein Feind. Er steht auf der anderen Seite, und ich spüre, dass er auf dem Weg hierher ist.«
»Aber ich habe ihn nicht eingeladen.«
»Das weiß ich auch. Trotzdem ist er auf dem Weg zu deinem Haus.«
»Wo?« Noah wollte zum Fenster eilen, aber seine Besucherin war schneller und hielt ihn fest.
»Nein, so geht das nicht«, flüsterte sie. »Du wirst bleiben und dir anhören, was dieser Sinclair hier will.«
»Und was tust du?«
Morgana legte den Kopf in den Nacken und lachte böse. »Ich werde mich zurückziehen. Dieses Haus hat einen Hinterausgang, das weiß ich genau.«
»Ja, und ich…«
Sie stand plötzlich vor ihm, sodass er seine nächsten Worte verschluckte. »Gar nichts wirst du tun. Du wirst dich völlig normal verhalten. Alles andere überlasse mir. Und denk immer daran, zu wem du gehörst. Mir gehörst du, nur mir!«
Es waren ihre letzten Worte. Wenig später war sie verschwunden, und Noah hörte nur noch, wie eine Tür ins Schloss fiel.
Dann war er allein…
***
Da sich Maxine Wells hier besser auskannte als ich, war es logisch, dass sie das Lenkrad übernahm und ihren Off-Roader zu unserem Ziel lenkte.
Ich hatte erfahren, dass dieses alte Försterhaus nicht im Wald lag, aber direkt in seiner Nähe stand und es genügend Platz gab, um den Wagen zu parken.
»Noah Lynch ist wirklich ein guter Mann«, sagte Maxine. »Er sorgt sich um die Umwelt. Er hat diesen Posten für zwei Jahre übernommen, um forschen zu können. Das Klima und der Wald, beides ist nicht nur für alle Menschen wichtig. Die Natur hier sieht auf den ersten Blick gesund aus, aber das ist eine Täuschung. Bei einer genaueren Untersuchung kann man schon nachdenklich werden.«
»Klar, das sehe ich auch so.«
»Und es ist immer schwer für ihn, an Geldmittel heranzukommen, um seine Forschungen weiterhin zu betreiben. Das Institut wird vom Staat finanziert. Und wenn ich an den globalen Finanzcrash denke, wird auch die Umwelt darunter leiden, weil eben kein Geld mehr locker gemacht wird, da man es für andere Dinge benötigt.«
Sie hatte die Worte sehr bitter ausgesprochen. Ich kannte kein Gegenargument, denn es gab einfach keines. Die Menschen schafften es, sich irgendwann selbst kaputt zu machen.
Der Weg war fei. Es gab auch keinen Morgennebel mehr. Als ich den Kopf drehte und in den Fond schaute, sah ich Carlotta auf der Rückbank sitzen. Sie hatte ihr blondes Haar mit einem roten Stirnband zusammengebunden. Sie lächelte, doch ich sah in ihren Augen, dass das Lächeln nicht bis dorthin reichte.
»Wir schaffen es, John«, sagte sie.
»Wir haben es doch immer geschafft - oder?«
»Ja, das haben wir.«
»Dann bleibt auch mein Optimismus.«
»Es ist gut, wenn du so denkst.« Ich schaute wieder nach vorn und sah, dass wir mittlerweile den Wald erreicht hatten. An der linken Seite wuchs er, und die Bäume zeigten in ihren Kronen ein tiefbuntes Herbstbild, sodass man für einen Moment den Eindruck haben konnte, an der amerikanisch Ostküste hoch zu fahren, an der der Indian Summer Einzug gehalten hatte.
»Hinter der Linkskurve können wir das Haus schon sehen, John.«
Ich nickte nur.
Maxine warf mir einen fragenden Blick zu. »Bleibt es bei unserer Entscheidung?«
»Okay, warum sollten wir sie ändern? Wir beide statten ihm einen Besuch ab und Carlotta bleibt im Wagen, wie besprochen.«
»Gut.«
Maxine fuhr, und ich dachte daran, dass Carlotta über unseren Plan, sofern er sie betraf, nicht eben glücklich war. Es war aber besser, wenn wir Noah Lynch zunächst allein entgegentraten und die Lage erst mal sondierten.
Maxine hatte sich nicht geirrt. Die Kurve lag kaum hinter uns, als das Haus versetzt von der Straße am linken Rand auftauchte. Dahinter wuchs der Wald hoch, und schon beim ersten Hinsehen stellte ich fest, dass dieses Gebäude perfekt in die Gegend passte. Rustikal. Errichtet aus Holz und Steinen, mit einem schrägen Dach, das an den Seiten weit überstand.
Vor dem Haus stand der Geländewagen des Biologen, ansonsten tat sich nichts. Dass der Wagen dort parkte, zeigte uns, dass wir die Fahrt nicht umsonst gemacht hatten.
Die Tierärztin stoppte neben dem anderen Fahrzeug. Bevor wir ausstiegen, gab ich Carlotta noch den Rat, sich hinter den Vordersitzen zu ducken, damit sie nicht entdeckt werden konnte.
»Du bist so etwas wie unsere Rückendeckung«, sagte ich.
Sie lachte. »Oder wollt ihr mich nur los sein?«
»Nur bedingt.«
»Okay, viel
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