1595 - Die sterbenden Engel
auch sagen. Wenn wir zu lange warten, wird es dunkel, und das ist nicht gut.« Melanie streckte ihrer neuen Freundin die Hand entgegen. »Komm.«
Der Engel zögerte noch. Schließlich griff er zu, und Melanie erlebte etwas Ungewöhnliches. Zwar fühlte sich die Haut normal an, aber sie spürte darunter ein leichtes Zittern oder Vibrieren. Das nahm sie hin. In ihrem kindlichen Gemüt dachte sie daran, dass Engel eben anders waren.
Sie war nur traurig, dass Gipsy weggelaufen war, aber den Weg zum Stall würde das Tier auch allein finden.
Und so machten sich zwei unterschiedliche Wesen auf den Weg, zu dem Mann mit dem Kreuz zu gehen…
***
Es war ein Tag, den man nur verfluchen konnte. Es geschah nichts, was uns weitergebracht hätte. Genau das war das Problem. Wir konnten nicht eingreifen, weil es einfach nichts gab.
Wir kamen uns vor wie bestellt und nicht abgeholt, was natürlich unsere Stimmung in Richtung Tiefpunkt drückte.
Tatsache war, dass jemand ermordet worden war und sich vor unseren Augen aufgelöst hatte. Wer jedoch der Täter war, darauf hatten wir keinen Hinweis gefunden. Zu sitzen und sich mit einem Ratespiel zu beschäftigen hatte auch keinen Sinn.
Ich war am sauersten, und auch Sukos Beruhigungen erlösten mich nicht aus diesem Zustand.
»Es wird sich jemand bei dir melden, John. Du wirst sehen. Was in der vergangenen Nacht geschehen ist, wird sich wiederholen. Aber intensiver.«
»Ach, das sind nur Worte.«
»Nein. Wir müssen einfach Geduld haben. Ich spüre, dass es noch nicht das Ende gewesen ist.«
»Ja, ja«, sagte ich nur und schaute ihn mit einem mehr als skeptischen Blick an. Suko meinte es ja gut, aber seine Worte brachten uns keinen Schritt weiter.
Glenda kam hin und wieder in unser Büro. Auch sie versuchte, mich aufzuheitern, was nicht klappte. Ich hatte nun mal das Gefühl, dass alles an meiner Nase vorbeilaufen würde, und in meinem Job mit so etwas leben zu müssen kam einer Katastrophe gleich.
Es waren ja keine normalen Gegner, mit denen wir es zu tun hatten.
Dahinter steckte oft eine höllische Kraft, die immer wieder neue Wege auskundschaftete, um die Menschen in ihren Bann zu ziehen. Gut und Böse, der ewige Kampf. Er würde sich bis in alle Ewigkeiten fortsetzen und erst am Ende der Zeiten enden.
So lange wir lebten, wollten wir uns dem Bösen entgegenstemmen.
Ausrotten konnten wir es nie, da machten wir uns nichts vor. Aber kleine Erfolge konnten auch zufrieden machen, wobei ich hier leider keinen in Griffweite sah.
Auch Sir James rief zwischendurch an und erkundigte sich, ob es etwas Neues gab. Wir konnten ihm nur die Wahrheit sagen, die er dann mit Fassung trug.
In Glendas Vorzimmer hörten wir das Trillern des Telefons. Dann klang ihr Stimme auf, die sich steigerte, als sie sagte: »Wartet Sie einen Moment, ich stelle Sie zu John Sinclair durch.«
Die Verbindung kam zustande, doch zunächst hörte ich nur Glendas Stimme.
»Da ist ein gewisser Cecil Davies, der dich sprechen möchte.«
»Und?«
»Er ist Pfarrer.«
»Und weiter?«
»Das hat er mir nicht gesagt.«
»Okay, dann gib mal die Verbindung frei.«
Wenig später hörte ich die unbekannte Stimme eines mir ebenfalls unbekannten Mannes. Mein Freund Suko spitzte ebenfalls die Ohren, als er mithörte.
»Sie sind John Sinclair?«
»Ja. Und Sie Pfarrer Cecil Davies.«
»Genau.«
Ich hatte gehört, dass seine Stimme ein wenig unsicher klang. Der Anruf schien ihm nicht eben Freude zu bereiten. Ich wollte natürlich den Grund erfahren und fragte deshalb: »Worum geht es denn?«
Er druckste etwas herum. »Das ist nicht so leicht zu sagen«, gab er zu.
»Sind Sie der Mann mit dem Kreuz?«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Weil Sie gesucht werden von einem zehnjährigen Mädchen. Das kam zunächst zu mir, kein Wunder, denn ich bin Geistlicher. Aber die Begleiterin des Mädchens hat mich wohl nicht akzeptiert. Sie blieb jedoch bei dem Begriff Mann mit dem Kreuz. Da erinnerte ich mich an einen Artikel, den ich mal in der Zeitung gelesen und den ich aufbewahrt habe. Da war von einem Mann die Rede, der immer ein besonderes Kreuz bei sich trägt. John Sinclair eben. Als Pfarrer interessiert man sich ja dafür, und so habe ich Sie angerufen.«
»Alles gut und schön. Aber was ist nun der wirkliche Grund für Ihren Anruf?«
»Das Mädchen Melanie Morton und seine Begleiterin Mina.«
»Die Namen sagen mir nichts.«
»Das kann ich mir denken. Ich kenne auch nur Mina. Aber es geht nicht um sie, sondern um ihre
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