1595 - Die sterbenden Engel
über die Antwort nach. »Ja, das stimmt. Sie kommen trotzdem, glaube mir.«
»Es ist niemand zu sehen.«
Mina schüttelte den Kopf. »Man kann sie nicht richtig sehen. Es sind keine Menschen.«
»Gut. Was sollen wir denn machen?«
»Ihr müsst gehen.«
»Was?«
»Ja, geht. Lasst mich allein, das ist am besten. Verschwindet von hier. Ich werde sie erwarten, denn so haben sie sich das auch gedacht. Ich will nicht, dass auch ihr in Gefahr geratet. Sie jagen uns. Ich konnte fliehen. Einige andere auch. Aber entkommen kann man ihnen nicht. Sie sind einfach zu stark. Sie sind unsere Urfeinde, und das lässt sich nicht ändern. Glaubt mir, bitte. Engel und Teufel passen nicht zusammen. Was schon vor Urzeiten begonnen hat, wird niemals aufhören.«
Die Erklärung war ein wenig zu hoch für das Mädchen. Melanie wusste nicht, was sie noch sagen sollte. Sie wollte aber auch nicht kneifen.
Dann hörte sie die Stimme des Geistlichen.
»Lass es gut sein, Kind.«
Melanie drehte sich um. »Haben Sie denn alles gehört, Reverend?«
»Ja, das habe ich.«
»Gauben Sie ihr?«
Er nickte.
Das Mädchen fragte weiter und blickte sich dabei scheu um. »Was können wir denn tun?«
»Wir werden den Raum hier verlassen.«
»Und dann?«
»Gehen wir in die Kirche.« Bei dieser Antwort hatte Cecil Davies Mina angeschaut, die zunächst nichts sagte und erst wenig später ihre leise Antwort gab.
»Sie kommen überall hin. Diese Gespenster aus der Hölle sind sehr mächtig.«
»Ich vertraue auf das Kreuz. Für mich ist meine Kirche noch immer ein heiliger Ort, und dort werden wir warten. Außerdem wird bald Hilfe hier sein.«
»Der Mann mit dem Kreuz kommt zu spät«, raunte Mina.
Auch jetzt gab sich der Pfarrer optimistisch. »Noch ist ja nichts passiert.«
Mina senkte den Kopf. Sie sagte nichts mehr. Für sie hatte es keinen Sinn mehr, den Geistlichen überzeugen zu wollen. Er nahm sie an der Hand und ging mit ihr auf die zweite Tür der Sakristei zu.
Melanie Morton blieb noch zurück. Sie wusste nicht, was sie noch denken sollte. Sie fühlte sich so hilflos. Durch ihren Kopf rasten die Gedanken, die sie jedoch keinen Schritt voranbrachten. So komisch gefühlt hatte sie sich noch nie. Erst als der Reverend und Mina verschwunden waren, ging sie ihnen nach.
Von der Sakristei her war die Kirche direkt zu betreten. Es war kein mächtiger sakraler Bau. Man konnte sie eher als eine große Kapelle bezeichnen.
Der schlichte Altar, der nur aus einer grauen Platte bestand, über dem ein Kreuz schwebte, das von der Decke herab nach unten hing. Es bestand aus braun lackiertem Holz und wirkte auf das Mädchen wie ein großes Stoppschild.
Melanie hielt auch an. Direkt neben dem Altar. Der Reverend und Mina waren davor stehen geblieben. Leise sprach der Mann auf seinen Schützling ein.
»Das Kreuz wird uns schützen, das musst du mir glauben. Ich verspreche es dir.«
»Weiß nicht.«
»Doch, das ist schon immer so gewesen.«
Mina drehte sich zur Seite. Dabei flüsterte sie: »Sie sind da. Ja, sie sind da.«
»Wer?«
Der Geistliche erhielt keine direkte Antwort.
»Ich bin die Erste gewesen«, flüsterte Mina. »Mich hat man vorgeschickt. Ich weiß, dass ich nicht allein bin. Ich habe den Weg geebnet.«
»Für wen?«
»Für die anderen, die mir noch folgen. Ich spüre, dass sie mich gefunden haben.«
»Sprichst du von diesen Gespenstern aus der Hölle?«
»Nein, von ihnen spreche ich nicht.«
»Von wem dann?«
»Sie sind wie ich.«
Das verstand der Reverend nicht. Er schüttelte den Kopf und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber er brachte nichts mehr hervor, denn es geschah etwas, was ihn beinahe an seinem Verstand zweifeln ließ.
Bisher war die kleine Kirche für ihn leer gewesen. Das hatte sich von einem Moment auf den anderen geändert, denn wie aus dem Nichts erschienen die geisterhaften Gestalten…
***
Cecil Davies glaubte, sich im falschen Film zu befinden. Was er zu sehen bekam, das gehörte nicht in die Wirklichkeit. Das war wirklich wie im Krimi, wo sich mehrere Szenen übereinander geschoben hatten und ein völlig neues Bild entstehen ließen.
Die Wesen oder Gestalten hatten sich überall in der Kirche verteilt. Sie standen an den Wänden und auch in den schmalen Gängen zwischen den Stühlen, und der Reverend konnte nicht sagen, ob sie überhaupt einen Körper hatten.
Sie alle wirkten auf ihn so durchsichtig. Der Vergleich mit trauernden Geistern kam ihm in den Sinn, obwohl das nicht unbedingt so
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