1595 - Die sterbenden Engel
die wurde gefunden, und jetzt lebt sie nicht mehr. Die Höllengespenster haben sie entdeckt und getötet. Sie löste sich dann auf. Ja, wir alle lösen uns auf, wenn es so weit ist.«
Der Geistliche hatte mit offenem Mund zugehört. Auch er als bibelfester Mensch wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Die Informationen waren auf ihn eingestürmt wie Felsbrocken, unter deren Gewicht er fast zusammenbrach.
Dann raffte er sich doch zu einer Frage auf. Er stützte sich dabei an der Altarplatte ab.
»Darf ich fragen, woher ihr kommt? Wenn von Engeln die Rede ist, denkt man immer zuerst an das Paradies. Und deshalb möchte ich wissen, ob ihr aus dem Paradies stammt.«
Mina antwortete leise: »Für uns ist es das Paradies. Aber Engel ist nicht gleich Engel. Es gibt so viele Paradiese. Manche sind unangreifbar, aber es gibt auch einige darunter, die verteidigt werden müssen.«
»Dazu gehört auch deine Welt, oder?«
»Das stimmt. Unser Paradies ist nicht sicher. Es ist nicht gefestigt wie andere. Diejenigen, die dort leben, besitzen auch eine gewisse Macht, sodass sie sich gegen die Feinde stemmen können. Das ist bei uns nicht der Fall, und deshalb müssen wir fliehen.«
»Klar«, flüsterte der Reverend. »Und wo sind eure Feinde?«
»Schon in der Nähe. Man sieht sie noch nicht.«
»Hier in der Kirche?«
»Nein, noch nicht.«
Der Geistliche lachte auf.
»Diese Kirche wird dem Bösen standhalten«, flüsterte er mit scharfer Stimme. »Ich habe mich immer darauf verlassen können. Sie hat mir und den Gläubigen Schutz geboten, und darauf vertraue ich auch weiterhin.«
Er erhielt keine Antwort, was ihm nicht gefiel. Deshalb schaute er Mina ins Gesicht.
Sie sagte nichts mehr, dafür geschah etwas mit den Gestalten ringsum.
Bisher hatten sie starr dagestanden und sich nicht vom Fleck gerührt.
Das war nicht mehr der Fall. Unruhe hatte sie erfasst. Sie gingen zwar nicht weg, aber ihre Angst war nicht zu übersehen, und auch Minas Antlitz zeigte jetzt einen verkrampften Ausdruck.
Melanie Morton war die Veränderung ebenfalls nicht entgangen.
»Was geschieht da?«, flüsterte sie.
Mina gab die Antwort mit einer Stimme, die kaum zu verstehen war.
»Die Höllengespenster sind da…«
***
»Wo müssen wir die Kirche noch mal suchen?«, fragte Suko.
»Südlich von Croydon.«
»Und das Kaff heißt?«
»Baxterville.«
»Nie gehört, John.«
»Ich vorher auch nicht.«
Ob es eine Fahrt ins Blaue war oder wir uns tatsächlich auf der richtiger Fährte befanden, das konnte keiner von uns genau sagen.
Die Stimme des Reverends hatte jedenfalls nicht so geklungen, als wollte er sich nur wichtig machen. Dahinter steckte schon mehr, das stand für Suko und mich fest.
Außerdem hatten wir bereits vor einem dieser ungewöhnlichen Engel gestanden, der seinen Verletzungen erlegen war und sich vor unseren Augen aufgelöst hatte.
London war mal wieder dicht. Man hatte das Gefühl, als wäre schon jetzt die Weihnachtszeit da.
Unser Nävi konnte uns auch keine Ausweichstrecke empfehlen, und so kamen wir nur langsam voran und konnte nur hoffen, trotzdem rechtzeitig ans Ziel zu gelangen.
Ob es sich bei der vor unseren Augen verschwundenen weiblichen Gestalt tatsächlich um einen Engel gehandelt hatte, wussten wir nicht mit hundertprozentiger Sicherheit zu sagen. Es war möglich, und andere Theorien gab es für uns nicht.
Aber dieser Engel war schon seltsam gewesen. Normalerweise hatten Engel keine feste Gestalt, es sei denn, sie waren etwas ganz Besonderes wie Raniel oder auch Belial, der Engel der Lügen.
Ich dachte auch an Luzifer, den Urengel des absolut Bösen. Auch er war nicht mit dem zu vergleichen, den wir gesehen hatten.
»Woran denkst du, John?«
Ich winkte ab. »Lass es gut sein. Mir schießt so einiges durch den Kopf.«
»Kann ich mir denken. Es ist schwer, einen Punkt zu finden, an dem man einhaken kann.«
»Du sagst es.«
Das ewige Stop and Go hatte aufgehört. Ein Zeichen, dass wir den inneren Zirkel der Millionenstadt verlassen hatten und uns allmählich den ländlicheren Gefilden näherten.
Es gab kleinere Orte, durch die wir rollten oder auch an ihnen vorbeifuhren.
Der alte Flughafen Croydon lag in der Nähe. Auch hier landeten noch die Maschinen. Zwei dieser gewaltigen Metallvögel flogen sogar recht dicht über unseren Rover hinweg. Das Brummen der Motoren war für eine Weile so laut, dass wir uns nicht unterhalten konnten. Es waren Propellermaschinen, die sich allmählich dem Boden entgegen
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