1595 - Die sterbenden Engel
ist. Sie wollte hier bei Ihnen Hilfe finden.«
»So sieht es aus.«
Er konnte wieder lächeln. Aber es sah sehr gequält aus. »Die bösen Mächte wollen, dass die Engel sterben. Und wenn es die nicht mehr gibt, sind die Menschen schutzlos. Ist das so?«
»Sehr richtig, Reverend.«
Er strich über seinen Haarkranz. Ich sah ihm an, dass er noch etwas sagen wollte, und schwieg deshalb.
»Die Engel hat man in die Flucht getrieben«, flüsterte er, »das ist nicht gut. Wenn es keine Engel mehr gibt, hat die andere Seite freie Bahn.«
Cecil Davies schaute dorthin, wo sich die anderen Gestalten versammelt hatten.
»Sie haben weiterhin große Angst. Das kann ich spüren. Sie wollen nicht mehr dorthin zurück, wo sie hergekommen sind. Ich empfinde das als furchtbar. Darüber will ich gar nicht länger nachdenken. Aber auch hier sind sie nicht sicher. Was kann man nur tun?«
Ich antwortete allgemein. »Wir sollten nicht die Nerven verlieren.«
»Ja, ja, das sagt sich so leicht.« Der Reverend stand auf und rieb dabei über seinen Hinterkopf. »Wissen Sie, was für mich auch noch furchtbar ist, Mr. Sinclair?«
»Sie werden es mir sagen.«
»Genau, das werde ich. Für mich ist es einfach grauenhaft, wenn ich erleben muss, dass derartige Wesen hier in meine Kirche eindringen. Ich habe sie bisher als Bollwerk gegen die Macht der Hölle angesehen. Jetzt muss ich leider erkennen, wie schwach diese Umgebung letztendlich ist, wenn es darauf ankommt.«
Es war aus seiner Sicht verständlich, dass er so negativ dachte. Mir gefiel das nicht, und deshalb wollte ich ihm Trost spenden.
»Auch wenn es vordergründig für uns nicht zum Besten steht, so glaube ich doch, dass wir noch eine Chance haben. Die gibt es immer. Auch wenn es gegen die Mächte der Finsternis geht. Das sollten Sie nicht vergessen, Reverend.«
Er überlegte, bevor er mit leiser Stimme sagte: »Sie setzen dabei voll auf Ihr Kreuz?«
»Ja.«
Cecil Davies lächelte. »Ich habe es nur am Rande mitbekommen. Was macht es so mächtig?«
Ich winkte ab. »Es wäre müßig, Ihnen jede Einzelheit zu erklären, Mr. Davies. Ich möchte Sie nur bitten, dem Kreuz zu vertrauen. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Im Moment haben wir Ruhe. Die Zeit möchte ich nutzen, um mit Mina zu reden.«
»Ja bitte…«
Ich schlug ihm auf die Schulter und wandte mich ab. Mit festen Schritten ging ich auf Mina und Melanie zu, die dicht beisammen standen und sich gegenseitig an den Händen hielten.
»Hallo«, sagte ich und lächelte sie an.
Dann sagte Mina: »Danke, du hast uns gerettet. Du bist der Mensch mit dem Kreuz. Es ist so wunderbar, dass wir dich gefunden haben. Aber es ist noch nicht vorbei. Die Feinde nur vertrieben, aber nicht vernichtet.«
Mein Blick ruhte auf ihr. Sie war so ungewöhnlich gekleidet, um ihre Nacktheit zu verbergen. Ein rundes Gesicht, schwarzes Lockenhaar, keine Flügel auf dem Rücken. Sie war auch nicht feinstofflich wie ihre Artgenossinnen. Bei ihr stand das Menschliche mehr im Vordergrund, und mir kam in den Sinn, dass sich die Engel auf beiden Ebenen bewegten.
»Das habe ich mir gedacht«, sagte ich leise. »Mich würde interessieren, warum das alles passiert ist.«
»Kannst du dir das nicht denken?«
»Nein, bisher nicht.«
»Dann will ich es dir sagen, John. Es sind die Schergen oder Gespenster der Hölle. Sie gehorchen dem Teufel, der nie aufgibt. Nicht nur wir sind ein tiefer Stachel in seinem Fleisch, sondern alle Engel. Aber auch bei uns gibt es welche, die sehr stark sind. Unsere Welten sind vielfältig. So suchen sich unsere Gegner zuerst die schwächsten aus und versuchen es dort mit einem Angriff, um sie zu übernehmen. Es ist immer ein mörderischer Kampf, den mal die eine, mal die andere Seite gewinnt. Die Menschen wissen davon nichts. Aber jetzt ist der Kampf in ihre Welt getragen worden, und wir müssen uns als die ersten Opfer ansehen. Die Hölle und ihre Schergen sind unsere direkten Feinde. Sie wollen unsere Dimension beherrschen. Für sie ist es der Beginn. Wenn sie es geschafft haben, liegt die erste Stufe der langen Treppe hinter ihnen. Dann haben sie den ersten großen Schritt getan. Danach können sie sich auf die zweite Stufe vorarbeiten und so weiter. Bis die Hölle am Ziel ist. Der Teufel hat seinen Plan nie aufgegeben.«
So etwas hatte ich mir schon gedacht. Mina hatte sehr konkret gesprochen, dennoch war bei mir eine Frage aufgetaucht. »Meinst du den Teufel oder Luzifer? Also den Engel, der nicht vergessen kann und
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