1595 - Die sterbenden Engel
aus deiner Welt geflohen?«
»Ja.«
»Warum?«
Mina benahm sich wie ein normaler Mensch, als sie durch ihre dunklen Locken strich. Sie druckste etwas herum, als wäre es ihr peinlich, eine Erklärung abzugeben. Dann hatte sie sich gefangen und sagte mit leiser Stimme: »Meine Welt ist nicht mehr sicher genug gewesen. Ich musste weg, ebenso wie die anderen.«
»Man wollte euch vertreiben?«
»Ja, man hat uns gejagt.«
»Und wer hat das getan?«
»Du hast sie gesehen. Es waren die Höllengespenster. Sie wollen uns vernichten, damit sie unsere Welt übernehmen können.«
Und plötzlich hatte ich die Lösung. So einfach war das. Die Schergen der Hölle wollten einen Bereich annektieren, der den Engelwesen gehörte.
Damit hätten sie einen Sieg errungen in ihrem ewigen Kampf gegen das Gute.
Mir war natürlich klar, wer diese Monster geschickt hatte. Mein besonderer Freund Asmodis. Aber hier hatte er eine Teilniederlage hinnehmen müssen, was mich natürlich freute. Ich wusste allerdings auch, dass der Kampf noch nicht beendet war. Es würde weitergehen, so leicht gab die Hölle nicht auf.
»Mr. Sinclair?«
Ich hatte den Ruf einer schwachen Stimme gehört und drehte mich um.
Im Hintergrund der Kirche war der Reverend dank Sukos Hilfe wieder auf die Beine gekommen. Allerdings wurde er noch von meinem Freund gestützt.
»Warten Sie, ich komme zu Ihnen.«
Suko holte einen Stuhl, auf den sich der Reverend setzte. Hinter mir blieben Melanie und Mina zusammen. Ihr Flüstern hörte ich nicht mehr, als ich vor dem Geistlichen stehen blieb.
Dem war der erlittene Schock noch immer anzusehen. Sein Kopfschütteln wirkte schwach, er wollte etwas sagen und musste mehrmals ansetzen, ohne dass er ein Wort hervorbrachte.
»Lassen Sie sich ruhig Zeit«, sagte ich leise und holte mir ebenfalls einen Stuhl.
Dabei schaute ich mich um und stellte fest, dass die Engelwesen nicht verschwunden waren. Sie hielten sich weiterhin in der kleinen Kirche auf.
In einer Ecke drängten sie sich zusammen wie in einer Fluchtburg. Ich hatte damit gerechnet, dass sie wieder verschwinden würden, um zurück in ihre Welt zu gehen, aber hier schienen sie sich sicherer zu fühlen, was mich schon wunderte.
Auf mich machten sie den Eindruck von verängstigten Wesen, die heimatlos geworden waren.
Cecil Davies hatte sich wieder so weit gefasst, dass er sprechen konnte.
Seine Hände lagen verkrampft auf den Oberschenkeln.
»Ich begreife das alles nicht, was hier geschehen ist. Das ist mir alles zu hoch. Hier haben Kräfte eingegriffen, die ich als himmlisch bezeichnen möchte. Verstehen Sie das, Mr. Sinclair?«
»Sicher.«
Er hob den Kopf an, um mich anzuschauen. »War es Fügung oder Schicksal, dass Sie jetzt hier sind und mich gerettet haben? Danke dafür. Ich hatte schon nicht mehr damit gerechnet.« Er schluckte. »Ich ich habe gegen etwas gekämpft, was ich nicht sehen konnte. Das ist einfach nicht zu fassen. Auch jetzt noch nicht. Ich stehe da und bin völlig von der Rolle.«
Ich lächelte ihm zu. »Es ist ja alles gut abgelaufen, Reverend. Machen Sie sich keine Gedanken mehr.«
»Ha, das sagen Sie so leicht. Ich mache mir aber Gedanken. Haben wir denn gesiegt?«
»Nur teilweise«, gab ich zu.
»Eben. Die andere Seite wird zurückkehren.« Er strich über seine feucht gewordene Stirn. »Aber wer ist die andere Seite? Können Sie das genau definieren?«
»Nein, das kann ich nicht. Nur allgemein.«
»Und wie lautet dann Ihre Antwort, Mr. Sinclair?«
»Hat Mina nicht von den Höllengespenstern gesprochen, die sie gejagt haben?«
»Ja, das hat sie. Aber ich konnte es nicht glauben, obwohl sie sehr überzeugend gesprochen hat.«
Ich wollte ihm noch etwas sagen, aber Suko tippte mir auf die Schulter, und so drehte ich mich zu ihm um.
»Ich lasse euch jetzt allein und schaue mich mal draußen um. Kann ja sein, dass ich noch etwas entdecke.«
»Tu das, aber sei vorsichtig.«
»Klar.«
Suko verschwand, und der Geistliche schaute auf die geschlossene Kirchentür. Wieder musste er einige Male schlucken, bevor er eine Frage stellte.
»Sie rechnen damit, Mr. Sinclair, dass es nicht vorbei ist?«
»Ja.« Ich war ehrlich. Den Mann zu belügen, hatte keinen Sinn.
Cecil Davies schwieg für eine Weile. Als er sich wieder gefangen hatte, flüsterte er: »Und was können wir dagegen tun?«
»Sie gar nichts, Reverend.«
»Ja, Sie haben das Kreuz. Das hat Mina gewusst.« Er nickte vor sich hin. »Jetzt weiß ich auch, weshalb sie gekommen
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