1596 - Dämonengold
Atem.
Jetzt war ihr überdeutlich klar, dass sie ihr Leben nicht mehr so weiterführen konnte wie in den letzten dreißig Jahren.
Aber was war das für ein neues Leben?
Konnte man sich als ein normaler Mensch damit überhaupt abfinden?
Sie wusste es nicht. Wenn sie von der Normalität ausging, dann sicherlich nicht, und plötzlich hatte sie den Eindruck, ganz klein zu werden. Sie fühlte sich wie ein Kind, das von der Mutter allein gelassen worden war und sich nun in einer völlig fremden Umgebung zurechtfinden musste.
Mit einem heftigen Stoß wurde die Tür geöffnet.
Ricky Waiden stand auf der Schwelle. Er war noch immer golden, aber nicht mehr nackt. Er hatte sich eine Hose übergezogen und einen roten Pullover.
Auf seinem goldenen Gesicht lag das Grinsen wie eingefroren, als er das Zimmer betrat.
»Na? Wie geht es dir?«
Ciaire Barkin schaute ihn nur an. Eine Antwort konnte sie nicht geben. In ihrer Kehle steckte ein Kloß.
»Fühlst du dich wohl?«
Ciaire schluckte. Dann fragte sie mit leiser Stimme: »Was passiert nun mit mir?«
»Du wirst zu einer goldenen Frau. Ich bin ein goldener Mann. Wir beide sind etwas Besonderes. Man hat uns zu Göttern gemacht.«
»Was hat man?«
»Zu Göttern gemacht.«
»Und weiter?«
»Nichts. Wir werden leben wie die Götter. So, wie es schon vor Hunderten von Jahren gewesen ist. Göttergleich. Weit über den Menschen. Man hat uns schon damals angebetet, man wird es wieder tun. Wir bringen die alten Zeiten zurück. Das Gold hat seinen Weg über das große Wasser gefunden. Es hat dabei nichts von seiner Wirkung verloren, denn es hat uns sehr stark gemacht.«
Ciaire hatte alles gehört und schüttelte den Kopf.
»Das will ich aber nicht.«
»Du wirst dich nicht dagegen wehren können. Mitgefangen, mitgehangen. So heißt es doch.«
Ciaire Barkin sagte nichts. Ihr fehlten die Worte.
Sie, die immer auf der Höhe der Zeit war und sich im Leben nichts hatten vormachen lassen, War völlig von der Rolle. Die Situation war einfach zu absurd, doch leider wusste sie, dass sie keinen Traum erlebte, sondern eine Wirklichkeit, die nicht zu erklären war.
»Du hast nichts mehr zu wollen!«, flüsterte Ricky Waiden ihr zu. »Ab jetzt haben andere Mächte das Kommando übernommen. Und sie sind nicht nur alt, sondern sehr alt und erfahren. Wir sind zu Göttern geworden und haben den Auftrag, dies weiterzugeben. Hast du das begriffen?«
»Nein.«
»Ach.« Seine Stimme klang ärgerlich. »Warum hast du das nicht begriffen?«
»Vielleicht will ich es nicht.«
Ricky verzog den Mund zu einem starren Grinsen. Dann sagte er: »Es geht nicht mehr darum, ob du etwas willst oder nicht. Hier haben andere Mächte das Sagen. Du solltest es dir genau merken. Du und ich, wir sind nur kleine Räder im Getriebe der Götter. Das solltest du nie vergessen. Dein Leben beginnt von vorn. Da kannst du sagen, was du willst, und du musst immer davon ausgehen, dass du jetzt etwas Besonderes bist. Ich werde es dir zeigen.«
Ciaire Barkin ahnte, was auf sie zukam.
Starr blieb sie sitzen und verfolgte den Weg des jungen Mannes.
Das Zimmer war zwar klein, aber nicht so klein, als dass kein Schrank mehr hineingepasst hätte. Er stand rechts neben der Tür und hatte eine schmale Tür, die Ricky jetzt aufzog.
In mehreren Fächern lag seine Wäsche.
Er bückte sich und griff weiter nach unten. Dort lag auf dem Bord ein Gegenstand.
Es war ein Handspiegel mit einem ovalen Griff.
Er holte ihn hervor, ging damit auf Ciaire Barkin zu und ließ sie dabei noch auf die Rückseite schauen.
»Bitte«, flüsterte die Frau, »bitte nicht…«
»Doch, es muss sein!«
Er drehte den Spiegel um und hielt ihn so, dass Ciaire direkt auf die Fläche schauen musste.
Sie sah sich!
Ja, das war sie, und doch war sie es nicht, denn sie sah in ihr eigenes goldenes Gesicht…
***
Der Anblick war ein schwerer Schock für sie. Ciaire konnte nicht glauben, dass sie es war. So sah sie doch nicht aus!
Trotzdem war es ihr Gesicht, wenn auch mit einem goldenen Schimmer versehen, als wäre jeder Hautfleck mit einer dünnen Schicht aus Blattgold belegt worden.
In den ersten Sekunden saß sie starr. Das Zittern war nur noch in ihrem Innern zu spüren.
Dann aber konnte sie den Anblick nicht mehr aushalten und schlug die Hände vor ihr Gesicht.
Sie wollte sich nicht mehr sehen. Das eigene Gesicht erschien ihr schlimmer als die schrecklichste Horrormaske, die zu Halloween getragen wurde.
Das hier aber war nicht Halloween. Das
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