1597 - Die Köpferin
geknickten Strohhalm, der aus dem Glas hervorschaute. Sie musste anerkennen, das das Zeug sehr gut schmeckte. Es war nicht zu viel Alkohol zu spüren, aber sie wusste, dass ein Glas reichte.
In der Nähe stand eine Schale mit Knabberzeug. Jane holte mit dem Löffel die nussähnlichen Kleinigkeiten hervor, warf sie sich in den Mund und spürte die leichte Schärfe auf der Zunge, nachdem sie zugebissen hatte.
Es ging ihr besser. Der große Stress war vorbei, und Jane empfand die Atmosphäre in der Bar mittlerweile als angenehm.
Bis sich ihr Handy meldete. Sie hatte es auf Vibration gestellt. Trotzdem zuckte sie zusammen und überlegte, ob sie sich melden sollte.
Schließlich siegte das Pflichtbewusstsein, und sie sagte ein leises »Ja bitte?«
Sie hörte nichts. Oder beinahe nichts.
»Melden Sie sich!«
Das Lachen war da, und es hörte sich alles andere als fröhlich an.
»Wer sind Sie?«
»Ich bin dir auf der Spur!«
Es war kein Satz, der bei Jane für Euphorie gesorgt hätte.
Sie schloss für einen Moment die Augen und dachte daran, dass die Realität sie eingeholt hatte.
So hatte sie sich das nicht gedacht, und ihre Stimme klang leicht unwillig.
»Sagen Sie mir, was Sie wollen, verdammt noch mal!«
»Ich kriege dich noch!«
»Was soll das?«
»Du entkommst mir nicht! Ihr habt mich gestört. Jetzt wird euch meine Rache treffen. Hast du dich schon mal mit deinem Tod befasst? Wenn nicht, wird es höchste Zeit.«
»Warum sollte ich das?«
»Weil ich dir auf der Spur bin.«
Jane wollte noch etwas fragen, aber da war die Verbindung bereits unterbrochen.
Es war kein Traum gewesen. Es war die Realität des Alltags, die Jane Collins eingeholt hatte. Sie spürte, wie das Blut in ihren Kopf stieg. Auf ihren Handflächen bildete sich der Schweiß, und plötzlich wollte ihr der Cocktail nicht mehr so richtig schmecken.
Wer war diese Anruferin?
Jane hatte keine Ahnung, pie Stimme war ihr unbekannt. Sie hatte sie noch nie in ihrem Leben gehört, aber die Frau wusste offenbar genau, was sie wollte.
Es war eine Warnung und ein Versprechen zugleich gewesen. Es ging um den Tod, um ihren Tod. Jemand war ihr auf der Spur. Aber wer kam dafür infrage?
Jane dachte darüber nach, während sie das Getränk durch den Strohhalm saugte.
Sie hatte nicht nur Freunde. Die Feinde überwogen bei Weitem, und dazu zählten Gestalten, die man keineswegs als menschlich einstufen konnte.
Sie dachte an ihre letzten Fälle. Die hatten nichts mit dem Übersinnlichen zu tun gehabt. Deshalb vermutete sie auch, dass es sich mit der Anruferin ebenso verhielt. Es konnte die Rache eines Menschen sein, dem sie auf die Füße getreten war, und ihre Gedanken waren sofort bei ihrem letzten Fall.
Ethan Brown. Sie hatte ihn kompromittiert. Er war jemand, der sie hassen musste, und es konnte durchaus sein, dass er Verbindungen zu Leuten besaß, die man zur Ostblockmafia zählen musste. Diese Irina war das beste Beispiel dafür.
Brown würde nichts vergessen, gar nichts, aber war es ihm möglich, so schnell zu reagieren?
Daran glaubte Jane nicht. Auch wenn er eine Helferin gehabt hätte, so rasch hätte er sie nicht auf ihre Spur bringen können.
Nein, dieser Anrut musste aus einer anderen Richtung kommen.
Möglicherweise drehte es sich um eine Sache, die länger zurücklag, aber das alles durchzugehen hatte keinen Sinn.
Stattdessen machte sie sich Gedanken darüber, ob sie den Anruf ernst nehmen musste, und sie entschied sich dafür.
In ihrem Lebensumfeld gab es leider keine Normalität. Das fing schon damit an, dass bei ihr eine Blutsaugerin lebte, die sie nicht loswurde, wobei Jane manchmal zugab, dass sie sich an Justine Cavallo gewöhnt hatte.
Sie schaute in das Glas, das eine dreieckige Form hatte. Sie nahm noch einen letzten Schluck, dann rutschte sie vom Hocker, genau in dem Augenblick, als zwei Männer an ihren Tisch traten, die ihre Getränke von der Theke her mitgebracht hatten.
»He, Sie haben doch keine Angst vor uns?«
Jane setzte ihr schönstes Lächeln auf.
»Bestimmt nicht.«
»Und warum gehen Sie dann?«
»Weil es Zeit für mich wird.«
»Schade.«
»Vielleicht ein nächstes Mal.« Jane nickte den Anzugtigern noch einmal zu, ging zur Theke, zahlte ihren Drink und verließ die Cocktailbar.
Draußen stellte sie wegen der Kühle ihren Mantelkragen hoch und zog den rostbraunen Schal enger.
In ihrem Kopf tobten weiterhin die Gedanken, die sich um den geheimnisvollen Anruf drehten.
Jane überlegte einmal mehr, ob
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