1597 - Die Köpferin
und sah einen Mann vor mir stehen, der hier der Chef sein musste.
»Sind Sie der Kollege Ganter?«
»Bin ich.«
»Mich kennen Sie offenbar.«
»So ist es. Eine gewisse Jane Collins hat berichtet, dass Sie kommen würden. Ich habe einiges von Ihnen während meiner kurzen Dienstzeit hier in London gehört und…«
»Glauben Sie nicht alles«, sagte ich. »Danke. Was ich von Ihnen hörte, ist sowieso unglaublich.« Er verzog die Mundwinkel und hob die Schultern.
Entweder stimmt die Chemie zwischen zwei Menschen oder sie stimmt nicht. Hier hatte ich den Eindruck, als würde sie nicht stimmen.
Ich mochte diesen Ganter nicht, und das beruhte wahrscheinlich auf Gegenseitigkeit.
Ich sah alles andere als Sympathie in seinen Augen.
Ganter war ein kleiner Mann mit einem glatten Gesicht, in dem die schiefe Nase hervorstach. Er hatte einen Stiernacken, und auf seinem Kopf wuchsen nur wenige Haare, die er trotzdem, von einem Scheitel getrennt, zu beiden Seiten gekämmt hatte. Er trug eine Lederjacke, die fast schon ein Mantel war, und als er sprach, bildeten seine Lippen so etwas wie einen Kussmund, was seinem Gesicht was Lächerliches gab.
»Das war eine verdammte Schweinerei hier. Ein Mann wurde vor den Augen einer Zeugin geköpft, wobei ich mir nicht sicher bin, ob die Frau die Wahrheit erzählt hat.«
Ich riss mich zusammen, um meine Stimme nicht scharf klingen zu lassen.
»Sie sprechen sicherlich von Jane Collins, oder?«
»Ja. So heißt sie.«
»Da müssen Sie keine Sorge haben. Wenn sie Ihnen sagt, dass es so passiert ist, dann hat sie die Wahrheit gesagt.«
»Wenn Sie das sagen.«
»Genau das. Und jetzt möchte ich mit Miss Collins reden.«
Ich hatte vorgehabt, mich noch etwas ausführlicher mit dem Kollegen zu unterhalten, aber darauf verzichtete ich jetzt. Ganter hätte mich am liebsten zurückgehalten, aber das wagte er nun doch nicht, und so betrat ich das Haus durch die offen stehende Tür.
Überall brannte Licht. Diese Festbeleuchtung schaffte es aber nicht, die trübe Stimmung zu vertreiben. Man konnte spüren, dass hier nichts mehr normal war.
Jane Collins fand ich in der Küche. Sie saß dort auf einem Stuhl am Tisch und war dabei, sich ein Glas mit Wasser zu füllen. Als sie mich sah, stellte sie die Flasche zur Seite, und auf ihrem Gesicht erschien ein Ausdruck der Erleichterung.
»Endlich, John!«
Ich sank auf einem zweiten Stuhl nieder. »Das ist ein Schock gewesen, wie?«
»Und ob.«
»Kanntest du die Mörderin?«
»Nein, John. Die war mir fremd. Das heißt, sie hat mir schon in einer Tiefgarage in der City aufgelauert, aber dort ist sie spurlos verschwunden. Erst hier sah ich sie dann wieder. Ich habe nicht die geringste Ahnung, was sie von mir wollte. Im Extremfall töten, das schon. Aber warum wollte sie das tun? Was habe ich ihr getan?«
»Das weiß ich nicht.«
»Gut.« Jane nickte. »Ich will sie dir beschreiben, John. Ich habe den Eindruck gehabt, dass sie aus einem Kampf studio entwichen ist. Wenn du sie gesehen hättest, dann…«
»Ich habe sie gesehen.«
»Bitte?«
»Ja, Jane, ich habe sie gesehen. Nur nicht hier, sondern woanders. Und das in dieser Nacht.«
Jetzt war sie sprachlos. Sie brachte keinen Ton hervor und stierte mich nur an.
Wenig später wusste sie, was ich erlebt hatte.
Jane Collins schüttelte den Kopf. »Loretta heißt sie also.« Ich nickte.
»Und Justine Cavallo kennt sie.«
»Das ist richtig, Jane.«
Die Detektivin überlegte. Sie fragte: »Ist es vielleicht möglich, dass diese Loretta Justine gemeint hat und nicht mich? Dass ich ihr praktisch durch Zufall vor die Füße gelaufen bin?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, das glaube ich nicht.«
Jane reckte ihr Kinn vor. »Dann sag mir bitte den Grund.«
»Gern.« Ich räusperte mich. »Loretta ist zwar allein unterwegs um zu killen, aber hinter ihr steht jemand, den wir beide sehr gut kennen. Und das ist kein Geringerer als Will Mallmann, alias Dracula II. Er ist die treibende Kraft in diesem tödlichen Spiel. Er hat Loretta geschickt, und ich gehe davon aus, dass sie aus seiner Vampirwelt gekommen ist, um hier Zeichen zu setzen.«
Es war Jane anzusehen, dass sie überlegte.
»Moment mal«, sagte sie dann, »kann es vielleicht sein, dass Loretta eine Blutsaugerin ist? Das wäre bei ihrer Herkunft normal.«
»So könnte man es sehen.«
Jane legte den Kopf in den Nacken und lachte. »Aber hundertprozentig bist du dir auch nicht sicher?«
»So ist es.«
Sie fixierte mich. Es war fast zu
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