16 - Im Schatten des Grossherrn 05 - Durch das Land der Skipetaren
hervor, gab sie ihm und sagte:
„Die Hiebe werde ich dir erlassen, denn ich habe Mitleid mit den Tagen deines Alters. Der Fluß ist geschwollen und die Überfahrt ist schwer und gefährlich; da magst du wohl etwas mehr als gewöhnlich verlangen; nur solltest du deine Forderungen nicht gar zu hoch steigen lassen.“
Er zögerte, das Geld zu nehmen, und starrte mich stumm bei weit offenem Mund an.
„Nun, soll ich das Geld wieder einstecken?“ fragte ich ihn.
Da kam ihm die Bewegung zurück. Er tat einen Sprung auf mich zu, riß mir das Geld aus der Hand und rief:
„Wie? Was? Du zahlst dennoch, trotzdem du im Schutz des Großherrn und seines obersten Veziers stehst?“
„Dürfen die Beschützten nicht gerecht und milde sein?“
„O Herr, o Agha, o Effendi, o Emir, sie sind es gewöhnlich nicht! Aus deinen Augen aber leuchtet die Gnade, und aus deinen Worten klingt die Barmherzigkeit eines freundlichen Herzens. Darum segne dich Allah in dir selbst, in deinen Ahnen und Urahnen und auch in deinen Kindern und in den Urenkeln deiner letzten Nachkommenschaft! Ja, solche Gnade wird uns nur selten zuteil, obgleich wir ein hartes und noch dazu spärliches Brot essen.“
„Aber da drüben ist eine Menge Menschen beschäftigt. Da verdienst du doch wohl mehr, als wenn diese Arbeiter nicht anwesend wären.“
„Weniger verdiene ich, viel weniger, denn diese Leute haben oberhalb meines Prahms eine zweite Fähre angelegt, mittels eines großen Kahnes. Das macht mir natürlich starken Abbruch; meine Pacht aber bleibt derselbe.“
„Wagen sich die Leute denn auch jetzt während des Hochwassers über den Fluß?“
„Heute haben sie es noch nicht gewagt, denn es ist zu gefährlich; es wäre eine doppelte Zahl der Ruder notwendig.“
„Aber du hast heute doch schon viele Leute übergefahren. Waren auch fünf Reiter dabei, von denen zwei auf scheckigen Pferden saßen?“
„Ja, Herr. Einer schien verwundet zu sein. Sie kamen aus der Herberge da drüben, wo sie für kurze Zeit abgestiegen waren.“
Er deutete dabei auf das erwähnte weiß getünchte Haus.
„Wie lange ist es her, daß du sie sahst?“
„Wohl über zwei Stunden. Besser wäre es, ich hätte sie nicht gesehen!“
„Warum?“
„Weil sie mich betrogen haben. Als wir drüben anlangten und ich mein Fährgeld verlangte, bekam ich Peitschenhiebe anstatt der Bezahlung. Und dabei hatten sie mir vorher einen Auftrag gegeben, welchen ich aber nicht ausführen werde! Wer mich nicht bezahlt, dem erweise ich auch keine Gefälligkeiten.“
„Darf ich erfahren, an wen dieser Auftrag gerichtet war?“
„Sehr gern. An den Mann, welcher vorhin in eurer Nähe hielt und dann vor der Herberge abgestiegen ist.“
„So kennst du ihn?“
„Ja; denn jedermann kennt den Schneider.“
„Ist er wirklich ein Schneider?“
„Man sagt es, aber ich weiß keinen hiesigen Einwohner, dem er ein Kleidungsstück angefertigt hätte.“
„Hm! Wie lautet der Auftrag?“
„Er solle sich beeilen, da sie nur bis früh auf ihn warten würden.“
Wo? Das wußte er nicht, und von den fünf Reitern kannte er nur den früheren Steuereinnehmer in Uskub, welcher die Leute bis aufs Blut gepeinigt habe. „Allah segne ihn mit tausend Übeln des Leibes und mit zehntausend Krankheiten der Seele“, fügte er bei.
Er wollte weiter sprechen, wendete sich aber jetzt ab, da seine Aufmerksamkeit anderweitig in Anspruch genommen wurde. Aus dem Herbergshaus traten nämlich zwei Männer, welche je zwei Ruder trugen. Sie gingen an das Wasser und schritten dann stromaufwärts weiter.
„O Allah!“ rief der Fährmann. „Sollten diese Unvorsichtigen es wirklich wagen, im Kahn überfahren zu wollen?“
„Wo befindet sich der Kahn?“
„Dort oben, wo das Weib am Ufer sitzt. Du kannst ihn nicht sehen, weil er hinter dem Weidengebüsch liegt.“
Die beiden Männer langten bei der erwähnten Stelle an, wechselten mit dem Weib einige Worte und verschwanden dann hinter dem Gesträuch.
„Ja“, sagte der Alte, „sie wagen es. Nun, wenn Allah sie beschützt, so mag es ihnen gelingen. Aber allein fahren sie jedenfalls nicht über, und ihr Fahrgast wird ihnen viel Geld zahlen müssen. Das könnte er bei mir billiger haben.“
„Das Weib wird es sein, welche zahlt.“
Ich sagte das, weil ich sah, daß die Frau auch hinter dem Gesträuch verschwand; sie war also in den Kahn gestiegen. Der Alte schüttelte den Kopf und meinte:
„Sie gibt nicht einen einzigen Para. Sie gehört zu den
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