Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
16 Uhr 50 ab Paddington

16 Uhr 50 ab Paddington

Titel: 16 Uhr 50 ab Paddington Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
Monate im Voraus. Und ohne dass ihre lautstarken Bittsteller etwas davon erfuhren, plante sie in diesem Zeitraum freie Phasen für kurze kostspielige Urlaube ein (Ausgaben für Kost und Logis fielen ja nicht an, überdies wurde sie fürstlich entlohnt) oder für kurzfristige Stellenangebote, die sie entweder als solche ansprachen oder weil sie «die Leute mochte». Da sie sich bei dem Kundenkreis, der sich um ihre Dienste bewarb, die Rosinen aus dem Kuchen picken konnte, folgte sie großenteils ihren persönlichen Neigungen. Für Geld allein erwarb man sich nicht die Dienste einer Lucy Eyelesbarrow. Sie hatte die Wahl, und sie nutzte sie. Sie genoss diese Lebensweise sehr und sah darin einen nie versiegenden Quell der Unterhaltung.
    Lucy Eyelesbarrow las Miss Marples Brief wiederholt durch. Die beiden hatten sich vor zwei Jahren kennen gelernt, als Lucy von dem Romancier Raymond West engagiert worden war, um seine alte Tante zu versorgen, die damals eine Lungenentzündung auskurierte. Lucy hatte das Angebot angenommen und war nach St. Mary Mead gekommen. Miss Marple hatte ihr sehr gefallen. Was Miss Marple anging, so brauchte sie nur einen Blick aus dem Schlafzimmerfenster zu werfen; als sie sah, mit welcher Sorgfalt Lucy Eyelesbarrow Reihen für die Gartenwicken zog, hatte sie sich erleichtert in die Kissen zurückfallen lassen, die von Lucy aufgetischten verführerischen Speisen gegessen und angenehm überrascht gelauscht, wie ihr altes, knurriges Hausmädchen erzählte. «Ich habe dieser Miss Eyelesbarrow ein Häkelmuster gezeigt, von dem sie noch nie gehört hatte! Die war vielleicht dankbar.» Und ihren Arzt hatte sie mit ihrer schnellen Genesung überrascht.
    Miss Marple fragte in dem Brief, ob Miss Eyelesbarrow eine bestimmte Aufgabe für sie übernehmen könne – eine ziemlich ungewöhnliche. Vielleicht könne Miss Eyelesbarrow den Termin eines Treffens vorschlagen, bei dem sie die Angelegenheit näher besprechen könnten.
    Lucy Eyelesbarrow runzelte die Stirn und überlegte. Eigentlich war sie bis auf weiteres ausgebucht. Aber das Wort ungewöhnlich und ihre Erinnerung an Miss Marples Persönlichkeit gewannen die Oberhand, sie rief sofort an und erklärte, sie könne zwar nicht nach St. Mary Mead kommen, da sie zur Zeit arbeite, sei jedoch am kommenden Nachmittag von zwei bis vier Uhr frei und könne Miss Marple irgendwo in London treffen. Sie schlug ihren Club vor, eine ziemlich unscheinbare Einrichtung, die aber den Vorteil mehrerer kleiner dunkler Schreibzimmer habe, die selten benutzt würden.
    Miss Marple war mit dem Vorschlag einverstanden, und sie trafen sich am Tag darauf.
    Sie gaben sich die Hand, Lucy Eyelesbarrow führte ihren Gast in das dunkelste Schreibzimmer und sagte: «Es tut mir Leid, dass ich gegenwärtig ausgebucht bin, aber erzählen Sie doch bitte, was ich für Sie tun soll.»
    «Das ist eigentlich ganz einfach», sagte Miss Marple. «Ungewöhnlich, aber einfach. Ich möchte, dass Sie eine Leiche finden.»
    Lucy hatte kurz den Verdacht, Miss Marple habe den Verstand verloren, verwarf diesen Gedanken jedoch sofort. Miss Marple war absolut zurechnungsfähig. Sie meinte wortwörtlich, was sie gesagt hatte.
    Lucy Eyelesbarrow blieb die Ruhe selbst und fragte: «Was für eine Leiche?»
    «Eine Frauenleiche», sagte Miss Marple. «Die Leiche einer Frau, die in einem Zug ermordet wurde – erdrosselt, um genau zu sein.»
    Lucy zog die Augenbrauen hoch.
    «Das ist allerdings ungewöhnlich. Erzählen Sie mehr davon.»
    Das tat Miss Marple. Lucy Eyelesbarrow hörte aufmerksam zu, ohne zu unterbrechen. Schließlich sagte sie:
    «Alles hängt davon ab, was Ihre Freundin gesehen hat – oder glaubt…»
    Sie beendete den Satz nicht, sondern ließ ihn fragend in der Schwebe.
    «Elspeth McGillicuddy phantasiert nicht», sagte Miss Marple. «Deswegen verlasse ich mich auf ihre Worte. Bei Dorothy Cartwright – also, bei der wäre das etwas ganz anderes. Dorothy weiß immer eine gute Geschichte zu erzählen, oft glaubt sie sie auch, und gelegentlich hat sie sogar einen wahren Kern, aber das ist auch alles. Elspeth gehört hingegen zu den Frauen, denen es schwer fällt zu glauben, dass etwas Außergewöhnliches oder Seltsames überhaupt geschehen kann. Sie ist kaum zu beeinflussen, wie Granit.»
    «Ich verstehe», sagte Lucy nachdenklich. «Gut, gehen wir einmal davon aus. Und wo komme ich ins Spiel?»
    «Ich war sehr beeindruckt von Ihnen», sagte Miss Marple, «und ich selbst bin ja nicht mehr robust

Weitere Kostenlose Bücher