160 - Martin, Deborah - Die amerikanische Braut
dass auch er sich anmaßend über Abbys Wünsche hinweggesetzt hatte, indem er mit allen Mitteln versuchte, sie bei sich zu behalten. Aber hatten sich seine Befürchtungen nicht bestätigt? Wenn sie ihn schon wegen der kleinsten Unstimmigkeit verlassen wollte – dann besser jetzt als später, wenn er sich ein Leben ohne sie gar nicht mehr vorstellen konnte.
Warum sollte er eine Ehe führen, in der er ständig auf der Hut sein musste, dass er nichts sagte oder tat, was Abby in die Flucht schlagen würde? Er wollte einfach nur mit ihr glücklich sein und wissen, dass sie ihn nie …
Spencer stockte der Atem … dass sie ihn nie verlassen würde.
Er fluchte. Genau das hatte sie doch versucht, ihm zu erklären! Aber er hatte nicht verstanden, was sie meinte. Wenn sie ihre Beziehung weiterführten wie bisher, anstatt sich bewusst für die Ehe zu entscheiden, würden sie nie völlig ehrlich und unbefangen miteinander sein können, da jedes unbedachte Wort das Ende ihrer unverbindlichen Beziehung sein könnte. Es würde ihnen das Vertrauen fehlen, alles für ihr Glück aufs Spiel zu setzen.
Spencer warf seinen Kopf in die Sitzpolster zurück. Abby hatte Recht gehabt. Eine Ehe, die nicht auf Dauer angelegt war, konnte kein bleibendes Glück bringen.
Wenn er Abby also behalten wollte, würde er sich auf ihre Bedingungen einlassen müssen – er würde aufhören müssen, alles kontrollieren zu wollen, und lernen, Vertrauen zu haben. Er musste Abby vertrauen, dass sie ihn nicht verlassen würde und auch in einer kinderlosen Ehe glücklich sein konnte.
Ärgerlich schüttelte er den Kopf. Nein, das genügte nicht. Sie hatte ihm klar zu verstehen gegeben, dass sie Kinder wollte – er würde ihr also vertrauen müssen, dass sie fremde Kinder wie ihre eigenen behandelte.
Ihm fiel plötzlich Abbys Gesichtsausdruck ein, als sie Lydia in den Armen gehalten hatte. Wie groß erst musste ihre Liebe für ein Kind sein, das sie von Beginn an bei sich hätte, das sie gemeinsam bei sich aufnehmen würden, ein Kind, das sie selbst großzog … und dem auch er ein liebender Vater sein konnte.
Er spürte eine tiefe Sehnsucht in sich, die er nicht länger verleugnen konnte. Vor ihm tat sich ein Abgrund auf, und er wusste, dass er mit Abby auf die andere Seite springen konnte. Oder er würde zu feige sein und beobachten, wie sie alleine sprang und auf der anderen Seite ohne ihn weiterzog …
Aber er war kein Feigling.
Er hatte sich entschieden und fühlte auf einmal eine große innere Ruhe. Was war er für ein Narr gewesen, dass er sich so lange gegen sein Glück gewehrt hatte! Er dankte Abby im Stillen für ihre Beharrlichkeit.
Sein erster Impuls war, sofort nach London zurückzufahren und Abby von seinem Sinneswandel zu überzeugen. Aber Spencer wurde sich der Verantwortung bewusst, die auf ihm lastete. Evelina brauchte seine Hilfe, und Nat durfte ihm diesmal nicht entwischen.
Aber danach würde Spencer schnellstmöglich nach London zurückkehren und Abby in seine Arme schließen …
Mit diesem Gedanken schlief er endlich ein.
Als er am Abend des nächsten Tages in Bristol eintraf, machte er sich sofort auf die Suche nach seinem Bruder. Zum Glück war Sir Horace in der Stadt allgemein bekannt, und der Gastwirt, der Spencer eine Wegbeschreibung zu dem Landsitz gab, versicherte ihm, dass ein Gentleman aus London, der ihn schon zweimal besucht hatte, sich gerade dort aufhielt.
Spencer fühlte eine große Erleichterung, dass bald alles überstanden sein würde.
Als er Peabodys Landsitz erreichte, geschah etwas Seltsames. Der Butler schien Spencer erwartet zu haben und sagte, dass „die Gentlemen“ ihn schon vor einigen Stunden zum Abendessen erwartet hätten. Spencer ließ sich seine Verwunderung nicht anmerken und folgte dem Butler in Sir Horaces Arbeitszimmer, wohin „die Gentlemen“ sich zu Portwein und Zigarren zurückgezogen hatten.
Als Spencer das Zimmer betrat, bestätigte sich, dass der „Gentleman aus London“ Nat war, und Sir Horace schien tatsächlich den Viscount Ravenswood erwartet zu haben.
„Fantastisch! Sie haben es also doch noch geschafft!“ Mit diesen Worten empfing ihn Sir Horace, den Spencer noch nie in seinem Leben gesehen hatte.
Nat hingegen schaute ihn an, als sei er ein Gespenst. „Spencer? Wie um alles in der Welt …“ Er rang um Fassung. „Ja, es ist wunderbar, dass du noch rechtzeitig kommen konntest.“
Irgendetwas ging hier vor sich – und Spencer hatte das ungute Gefühl, dass es ihm
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