1600 - Willkommen im Hades
der Nacht, dann brannte nicht nur der Busch, sondern der halbe Wald. Ich stand mit dem Telefon am Ohr auf und sagte: »Gib mir einige Minuten, Bill.«
»Alles klar.«
Ich bereitete im Wohnzimmer alles vor. Der Laptop stand jetzt auf dem Tisch. Hochgefahren war er auch, und so konnte ich die Aufnahmen öffnen, die Bill mir bereits gemailt hatte.
»Ich sage dir vorweg, dass es neun Aufnahmen sind, die man mir zugeschickt hat«, erklärte Bill. »Ich habe dir drei davon gemailt. Die reichen aus, denn das Motiv ist gleich.«
Bill Conolly war alles andere als ein Spinner und Wichtigtuer. Wenn er sich so benahm, steckte schon etwas dahinter, und es dauerte nicht lange, bis ich das erste Foto auf den Monitor geholt hatte.
Meine Augen weiteten sich. Was ich zu sehen bekam, war ein urweltartiges Monster. Ein gewaltiger Drache mit mächtigen Flügeln, die aus seinem Rücken wuchsen, aber nicht völlig ausgefahren waren. Ein hässlicher Kopf mit spitzen Teufelsohren, ein schlimmes, mit spitzen, scharfen Zähnen bewehrtes Maul und zwei Augen mit einem grausamen Blick. Sie leuchteten dunkelrot, und wer auf diese Gestalt schaute, der konnte es schon mit der Angst zu tun bekommen.
Auch an mir ging dieser Eindruck nicht spurlos vorüber. Ich merkte, dass sich die Haut auf meinem Rücken spannte, und ich glaubte nicht daran, dass dieses Gebilde mir nur gezeigt wurde, um eine schlaflose Nacht zu verbringen.
Ich sah mir auch die anderen Aufnahmen an. Es war das gleiche Motiv zu sehen, nur eben aus einer anderen Perspektive, Der Geschmack in meinem Mund wurde allmählich bitter.
»Hast du alles gesehen?«
Ich hatte das Telefon neben meinen Laptop gelegt und den Lautsprecher eingeschaltet.
»Habe ich, Bill.«
»Na, deine Stimme hört sich nicht gut an.«
»Klar. Singen würde ich damit nicht.«
»Und was sagst du zu der Botschaft?«
»Ehe ich weiter auf dieses Monster eingehe, frage ich dich, wer es geschickt hat.«
»Es stammt aus Südtirol. Eine bekannte Fotografin hat die Aufnahmen geschossen.«
»Und? Was sagt sie dazu?«
»Noch nichts. Ich habe nur eine kurze Mail erhalten, aber ich werde mich gleich noch bei ihr melden. Dich habe ich zuerst kontaktiert.«
»Okay, Bill. Verstanden habe ich alles. Wie geht es nun weiter? Bist du davon überzeugt, dass diese Kreatur echt ist?«
»Ja, bin ich.«
»Aber sie lebt nicht…?«
Auf meine gedehnt gesprochene Frage erhielt ich zunächst keine Antwort.
Dafür hörte ich einige schwere Atemzüge und auch Stimmen im Hintergrund. Das konnten nur Sheila und Johnny sein.
»Ja, sie ist echt, John.«
»Okay, ich wollte wissen, ob du davon ausgehst, dass dieses verdammte Ding lebt?«
»Noch nicht, denke ich.« Bill räusperte sich. »Es sieht so aus, als wäre es aus Stein. Aber da ist das Rot in den Augen, und das gibt mir schon ein verdammt ungutes Gefühl. Es könnte also sein, dass es kurz vor dem Erwachen steht.«
Das hatte ich mir ebenfalls so gedacht.
»Das wäre natürlich schlimm«, fügte ich hinzu.
»Du sagst es.«
»Und die Gestalt befindet sich in Südtirol?«
»Davon gehe ich aus, John. Es ist noch alles sehr vage, das gebe ich zu, aber ich denke schon, dass wir wachsam sein müssen.«
»Klar. Nur nicht hier.« Ich lehnte mich zurück. »Ich glaube nicht, dass wir von hier aus etwas erreichen können. Noch ist nichts passiert. Wir müssen es als-eine Warnung ansehen, und ich denke auch, dass da etwas auf uns zukommt.«
»Du sagst es, mein Freund. Es hört sich so an, als wüsstest du schon mehr.«
»Nein, Bill. Auf keinen Fall. Allerdings habe auch ich eine Warnung erhalten.«
»Von wem?«, fragte der Reporter schnell.
»Raniel.«
Ich hörte einen Pfiff. »Im Ernst?«
»Ja, er rief mich an, als ich unterwegs war. Er war nicht eben fröhlich und sprach davon, dass der Hades geöffnet werden soll.«
»Die Unterwelt?«
»Genau, Bill. So wurde sie von den alten Griechen genannt. Und wenn ich dieses Monster jetzt sehe, dann…«
»Bist du sicher?«
»Hundertprozentig nicht. Aber das, was du mir geschickt hast, könnte darauf hinweisen.«
»Das ist nicht gut.«
»Ich weiß.«
»Gut«, sagte der Reporter. »Lassen wir das mal so stehen. Ich werde jetzt Anna Eichler anrufen. Sie hat Johnny gesagt, dass es für sie keine Rolle spielt, welche Uhrzeit wir haben. Ich rufe sie an und hoffe, dass sie uns einen Schritt voranbringt.«
»Ja, tu das.«
Es gab vorerst zwischen uns nichts mehr zu sagen. Ich schaltete meinen Apparat aus, lehnte mich zurück und
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