1601 - Die wilde Schlacht
Fenster. Beim ersten Hinsehen fiel mir nichts auf, was auch Anna merkte, denn ihr fehlte wohl mein Kommentar.
»Konzentriere dich bitte auf den Himmel.«
»Und dann?«
»Sieh einfach hinauf.«
Ich wollte nicht glauben, dass sie mir etwas vorspielte, das hatte sie nicht nötig. Von mir hörte sie keinen Kommentar mehr, weil ich mich auf den Himmel konzentrierte.
Ja, und da sah ich es!
Es gab eine Veränderung. Eine noch weit entfernte graue Stelle, die aussah wie eine Zunge, die vorn schmaler war und dann allmählich breiter wurde. Sie erstreckte sich in unsere Richtung, als wollte sie wie eine Pfeilspitze auf den Ort zeigen und ihm klarmachen, dass es kein Entrinnen gab.
Hatte diese Wolke Anna Eichler so erschreckt?
Da sie hinter mir stand, drehte ich mich zu ihr um. Wir schauten uns jetzt in die Augen. Ihr Blick flackerte. Auf der Gesichtshaut sah ich einige rote Flecken.
»Hast du die Wolke gemeint?«
Sie nickte.
»Ja, und was ist daran so schlimm? Ich bin kein Wetterexperte für das Gebirge, aber ich habe gehört, dass es hier schon mal Anomalien geben könnte.«
»Das ist keine Anomalie des Wetters!«
»Gut, was ist es dann?«
»Etwas Unheimliches. Ich glaube nicht, dass es sich um eine normale Wolke handelt. Da kommt etwas auf uns zu, das nichts mit dem Wetter zu tun hat.«
»Also etwas Fremdes?«
»Da bin ich mir sicher. Und wenn du genau hinschaust, wirst du feststellen, dass es begrenzt ist. Wäre es ein besonderes Wetter, dann hätte die Wolke ein anderes Aussehen. Ich habe lange genug hier gelebt, um so etwas beurteilen zu können.« Sie senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. »Ich kann mir gut vorstellen, dass es bereits der Anfang vom Ende ist.«
Im Prinzip musste ich ihr zustimmen. Das konnte bereits der erste Vorbote sein. Ich trat wieder ans Fenster, um mir die Anomalie genauer anzuschauen. Meiner Ansicht nach hatte sie ihre Form nicht verändert.
Noch immer wies ihre Zungenspitze in Richtung Dorf. Ob sie bereits gewandert und näher gekommen war, ließ sich so nicht feststellen.
Als ich mich wieder umdrehte und Anna mein Gesicht sah, sagte sie spontan: »Du bist nicht überzeugt - oder?«
»Nein, das bin ich nicht.«
»Es ist aber so, John. Ich kann es nicht anders sagen. Da kommt etwas auf uns zu.« Sie ballte die Hände. »Darin versteckt sich etwas, und es wird sich zeigen, wenn es nahe genug an uns herangekommen ist.«
»Gut, das nehme ich so hin.«
»Und was tun?«
Ich griff nach meiner gefütterten Jacke, die ich an einen Haken gehängt hatte.
»Du willst weg, John?«
»Nein, nein, nicht wirklich. Ich will mir diese Anomalie nur mal genauer ansehen. Da ist es wohl besser, wenn ich nach draußen gehe.«
Da Anna nicht sagte, ob sie mitwollte oder nicht, streifte ich die lange Jacke über und verließ kommentarlos das Zimmer.
***
Ich war froh, dass mir im Haus Lisa Eichler nicht begegnet war. So konnte ich die Tür öffnen und ins Freie treten. Da war es vorbei mit dem Alleinsein.
Franz Eichler trat mir entgegen. Ich hatte keine Chance mehr, ihm auszuweichen.
»Oh, Sie wollen weg?«
»Ja, ich möchte mich mal umschauen.«
Eichler rieb seine Hände. »Kann ich verstehen. Ich finde, dass es sehr kalt geworden ist.«
»Das müssen Sie doch gewohnt sein.«
Er schaute auf den Schneeräumer mit dem langen Stiel, der an der Hauswand lehnte. »Ja, das sind wir auch gewohnt, aber diese Kälte hier ist anders.«
»Und wieso?«
Er hob die Schultern. »Schwer zu sagen. Ich habe das Gefühl, als hätten sich da zwei Komponenten zusammengefunden. Die normale Kälte und die nicht normale.«
»Das verstehe ich nicht…«
»Na ja, das ist eine Kälte, die von innen kommt.« Er schüttelte sich.
»Keine normale, Herr Sinclair.«
Ich hob die Schultern. »Wenn Sie das sagen.«
Er nickte. »Glauben Sie mir, das ist so. Und ich bin nicht eben froh darüber.« Er verengte seine Augen. »Hier liegt was in der Luft. Hier geht etwas vor, das unseren Horizont überschreitet. Oder nur meinen, ich weiß es nicht. Aber ich schließe nicht aus, dass es mit der Sprengung zusammenhängt und somit mit dem, was ich freigelegt habe. Da kann man schon Angst vor der Zukunft bekommen.«
Ich wollte ihn beruhigen und sagte wider besseres Wissen: »So schlimm und negativ solle man das nicht sehen.«
Er stellte die Ohrenklappen seiner Mütze hoch. »Ist das Ihre ehrliche Meinung?«
»Ich bin immer ein Optimist gewesen.«
Er winkte ab. Dann erkundigte er sich nach seiner Tochter. »Sie ist im
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