1603 - Der Geistertänzer
sind Sie?«, fragte ich.
»Ich heiße Gwen Milton. Mir gehört das Haus. Isabel lebt bei mir als Mieterin. Ich habe sie gern aufgenommen. Ich war früher auch mal beim Theater. Nur keine Tänzerin. Ich habe mich als Schauspielerin betätigt. So, jetzt wissen Sie Bescheid.«
»Das ist uns zu wenig.«
Mrs. Milton öffnete den schmallippigen Mund. »Was wollen Sie denn noch alles wissen?«
»Können wir das im Haus besprechen?«
»Ach, es ist Ihnen wohl zu kalt?«
»So ähnlich.«
»Gut, dann treten Sie ein.«
Dass sie mal Schauspielerin gewesen war, das sahen wir ihr zwar nicht an, doch ihre Stimme setzte sie noch so ein, als stünde sie auf einer Bühne. Sie war kräftig und volltönend. Bekleidet war sie mit einer schwarzen Tuchhose und einem beigen Pullover, der ihr bis zu den Hüften reichte und um den Oberkörper schlackerte. Um den Hals hatte sie eine Kette aus Glasperlen gehängt.
Als wir in die Wärme des engen Hauses getreten waren, drehte uns Mrs. Milton das Gesicht zu. Aus der Nähe sahen wir die Falten wie Kerben in der Haut. Die Jüngste war sie nicht mehr.
»Wie ich Ihnen schon sagte, Isabel ist nicht da.«
»Wann ging sie denn?«
Ich wurde scharf angeschaut. »Schon recht früh, heute Morgen.«
»Hat sie Ihnen gesagt, wohin sie wollte?«
»Nein, das hat sie nicht. Sie ging nicht zu einer Probe. Sonst hätte sie die große Tasche mitgenommen.«
»Und welch einen Eindruck hat Isabel auf Sie gemacht?«
Erneut wurde ich von den kalten Augen fixiert. Dabei spielten die Finger mit den Glasperlen der Kette, was ein leises Klirren verursachte. Nach einem Räuspern hörten wir ihre Antwort.
»Fröhlich war sie nicht.«
»Aha«, sagte ich. »Können Sie uns das genauer erklären?«
Das konnte sie nicht und suchte wieder nach den richtigen Worten. Wir hatten Zeit, uns im Flur umzuschauen. Da gab es die enge Treppe nach oben, aber auch die Wände, die mit eingerahmten Fotos aus ihrer Theaterzeit bedeckt waren. Auf fast jedem Bild war Gwen Milton in einer anderen Rolle zu sehen.
»Nun ja, sie schien mir bedrückt zu sein. Als würde sie unter einem Problem leiden.«
»Sie haben Isabel nicht darauf angesprochen, oder?«, fragte Suko leise.
Mrs. Milton versteifte. »Wo denken Sie hin, Inspektor? Nein, das habe ich nicht. Auf keinen Fall. Das steht mir auch nicht zu, verstehen Sie das?«
»Klar.«
»Unser Verhältnis ist gut. Ich bin auch froh, Isabel als Mieterin zu haben, aber jeder von uns hat sein Privatleben. Das geht den anderen nichts an.«
»Ja, das denke ich auch.«
»Ich weiß also nicht, welche Probleme sie hatte. Falls das überhaupt zutrifft.«
Sie schaute uns erneut mit ihrem scharfen Falkenblick an. »Darf ich denn fragen, was meine Mieterin mit der Polizei zu tun hat?«
Die Wahrheit wollten wir ihr nicht sagen. Zudem waren wir geübt darin, gewisse Ausreden in petto zu haben, und das war auch hier der Fall.
»Wir brauchen Isabel Kessler als Zeugin in einem bestimmten Fall. Das ist der Grund.«
Gwen Milton verzog schon den Mund, bevor sie sagte: »Das klingt schon nach einer Ausrede, finde ich.«
»Nein, nein, das ist es nicht. Wir dürfen nur nicht mehr sagen, Sie verstehen?«
»Ich denke schon. Nur kann ich immer wiederholen, dass sie nicht da ist.«
»Das haben wir verstanden. Dürfen wir uns trotzdem ihr Zimmer anschauen?« Ich setzte mein bestes Lächeln auf, das ich hatte, und hoffte, dass Gwen Milton schmolz.
»Sie wollen hinein?«
»Gern.«
»Und dann?«
»Uns nur ein wenig umschauen.«
Mrs. Milton überlegte. »Das scheint mir doch eine größere Sache zu sein. Ich habe viel Zeit und schaue oft in die Glotze. In den Filmen haben die Polizisten immer einen Durchsuchungsbefehl. Wie sieht es damit bei Ihnen beiden aus?«
»Den haben wir nicht«, gab ich zu. »Außerdem wollen wir die Wohnung nicht durchsuchen. Wir möchten uns nur ein wenig umsehen, das ist alles.«
»Nun ja…«
»Sie können auch mitgehen«, schlug Suko vor.
Da hatte er den richtigen Ton getroffen. In den Augen der Frau blitzte es auf.
»Wenn Sie mich schon so ansprechen, kann ich nicht ablehnen.« Sie fühlte sich geschmeichelt. »Warten Sie einen Moment. Ich muss nur den Ersatzschlüssel holen, falls Isabel abgeschlossen hat.«
»Selbstverständlich«, sagte ich.
Die Frau verschwand in einem in der Nähe liegenden Zimmer. Suko und ich blieben zurück.
Es war ein dunkles Haus. Dazu trugen auch die Möbel bei, die sicherlich ihre Jahrzehnte auf dem Buckel hatten. Neben der Haustür
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