1603 - Der Geistertänzer
sich auf der Flucht befindet. Und ich glaube auch, dass er deshalb wieder zu dir gekommen ist. Er muss fliehen. Er hat Feinde. Er hat starke Gegner. Daran gibt es keinen Zweifel.«
Isabel hatte atemlos zugehört. Sie schüttelte den Kopf, nachdem Paula nichts mehr sagte. Dabei suchte sie nach Erklärungen oder Antworten und sagte schließlich: »Wir müssen ihm helfen, nicht?«
Paula nickte. »Das möchte er wohl.«
»Und?«, flüsterte Isabel. »Können wir das? Sind wir in der Lage, einem Toten zu helfen?«
»Du machst es mir schwer.«
»Das weiß ich. Ich kann nicht anders. Ich muss das fragen. Und ich bitte dich, es noch mal zu versuchen. Bitte, nimm den Kontakt wieder auf.«
Sie nickte.
Isabel konzentrierte sich auf ihr Gegenüber. Und ihr fiel auf, dass auch Paula nicht mehr so optimistisch war. Irgendwas musste sie gestört haben.
»Was ist mit dir los?«
Paula schaute auf ihre Hände, die sie von der Kugel gelöst hatte. »Ich will ehrlich sein, Isabel. Es ist nicht leicht für mich, das solltest du wissen.«
»Dann hast du auch Angst?«
»Ja, das habe ich.«
»Und? Kannst du das genauer erklären?«
»Ich will es versuchen. Ich befürchte, dass ich nicht nur den Kontakt mit Julius bekomme, sondern auch mit seinen Feinden. Und das stimmt mich alles andere als fröhlich.«
»Ja, das glaube ich dir.«
»Aber ich werde trotzdem noch einen Versuch starten. Sollte die Gefahr zu groß werden, muss ich abbrechen. Aber daran möchte ich jetzt nicht denken. Diese zweite Sitzung kann anders verlaufen als die erste.«
»Darauf stelle ich mich ein. Ich hoffe nur, dass du Julius herholen kannst.«
»Ich versuche es.«
Isabel wusste, dass sie den Mund halten und Paula Ashley das Feld überlassen musste. Es fiel ihr zwar schwer, aber sie wusste genau, dass sie hier nur die zweite Geige spielte.
Die Hände der Frau umfassten erneut die Kugel aus dem bläulichen Glas. Es war zu sehen, dass es ihr keine Freude machte. Paula konzentrierte sich stark. Ihr Gesicht war sehr angestrengt, und es war zu erkennen, dass sie die Lippen bewegte, ohne dass sie etwas sagte, das hörbar war. Sie sprach eher zu sich selbst. Wahrscheinlich formulierte sie ihre Gedanken, gab sie aber nicht preis.
Isabel schaute nur zu. Sie wartete auf einen Erfolg. Manchmal sah sie auf die Kugel, dann wieder war ihr Blick auf das Gesicht des Mediums gerichtet.
Darin war nicht zu lesen, was Paula empfand. Die Züge blieben starr, ebenso wie die Augen, die sich auf die Kugel gerichtet hatten, als wollten sie das Glas dort allein durch die Kraft der Gedanken sprengen.
Paulas Blick verlor sich nach einer Weile. Das war neu für die Beobachterin. Plötzlich sah sie aus wie jemand, der kurz davor stand, ohnmächtig zu werden. Der Blick war verdreht, die Lippen zuckten, brachten aber keine Worte hervor, und Paulas gesamter Körper wurde von einem starken Zitteranfall durchgeschüttelt. Sie bewegte sich heftig auf ihrem Stuhl. Auch die Hände, mit denen sie die Glaskugel festhielt, zitterten, aber sie zerbrach nicht.
Isabel wusste nicht, was sie tun sollte. So wie Paula reagierte, war das nicht normal. Sie wäre gern aufgestanden und hätte sie umschlungen, aber die Tänzerin kannte sich nicht aus. Sie musste auch damit rechnen, dass ihr Vorhaben falsch sein konnte, und deshalb blieb sie auf ihrem Platz sitzen.
Paula hatte von Feinden gesprochen, die Julius auf der Spur waren. Und jetzt konnte es durchaus sein, dass sie auch in ihre Nähe gekommen waren. Paula musste sie spüren, sonst hätte sie nicht so reagiert.
Die Tänzerin hielt es nicht mehr aus. Es war ihr jetzt egal, ob sie etwas verkehrt machte oder nicht.
Sie sprach Paula an.
»Was ist los mit dir? Was hast du? Hörst du mich? Kannst du sprechen?«
Paula reagierte. Nur nicht so, wie es sich Isabel vorgestellt hatte. Sie riss den Mund auf, und plötzlich jagte Isabel ein Laut entgegen, der sie zutiefst erschreckte.
Er stammte nicht von einem Menschen. Es war ein Fauchen, das mehr zu einem Raubtier gepasst hätte. Ein wilder, unkontrollierter Laut, an Bösartigkeit nicht mehr zu übertreffen, und Isabel vernahm ihn wie eine Hassbotschaft.
Paulas Hände lösten sich von der Kugel. Zugleich warf sie sich hart auf ihrem Stuhl zurück, sodass die Lehne anfing zu knarren. Sie warf nicht nur den Kopf hin und her, auch der gesamte Körper wurde durchgeschüttelt. Aus ihrem Mund drangen abgehackte Laute, die Hände ballten sich zu Fäusten, als müsste sie sich gegen irgendwelche Feinde
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