1605 - Blutnacht - Liebesnacht
skeptisches Gesicht zeigte. »Sind Sie sicher?«
»Ich gehe davon aus. Sie nicht?«
»Davon bin ich nicht überzeugt. Frau Hansen und ich haben uns kein intensives Bild von den Menschen hier machen können, aber wir sind doch ans Nachdenken gekommen. Wir können uns vorstellen, dass im Dorf doch jemand Bescheid weiß und nur nicht darüber redet. Jedenfalls haben wir das Gefühl gehabt. Die Leute kamen mir schon recht verschlossen vor.« Ich sagte nicht, dass wir nur mit einer Frau gesprochen hatten.
»Ich weiß nicht so recht.« Seeger hob die Schultern. »Ich jedenfalls habe im Ort nichts gehört. Ich habe auch nicht über Anjas neuen Freund gesprochen. Das kommt hinzu. So kann ich Ihnen da keine Auskunft geben.«
Das nahmen wir ihm ab. Dieser Mann war kein Mensch, der irgendwelche Spiele trieb. Er würde uns auch keine Unterstützung auf der Jagd nach dem Blutsauger sein.
Wir gingen nach wie yor davon aus, dass sich dieser Darius in der Nähe aufhielt und hier irgendwo sein Versteck hatte. Karl Seeger danach zu fragen würde uns nichts bringen. Da hätte uns Anja mehr sagen können.
Er fragte: »Wissen Sie denn schon, was Sie weiter unternehmen wollen?«
Ich war ehrlich und sagte: »Wir wissen es nicht genau, aber wir werden uns umschauen.«
»Wo denn?«
»Auf dem Friedhof«, sagte Dagmar.
»Ich kenne ihn. Denn ich bin schon dort gewesen.«
Seeger riss den Mund auf und flüsterte: »Meinen Sie etwa das alte Gelände?«
»Genau das.«
»Ja, ja…« Er sprach vor sich hin. »Das kann ich sogar verstehen. Das Gelände liegt sehr einsam. Und es wird auch niemand mehr dort begraben.«
»Ein guter Ort«, bestätigte Dagmar. »Das habe ich in der vergangenen Nacht erleben müssen.«
»Das hat sich herumgesprochen, ich weiß. Niemand aus dem Dorf kennt allerdings die Wahrheit.«
Ich klatschte in die Hände. Es war so etwas wie das Zeichen für unseren Aufbruch. Dann wandte ich mich an Karl Seeger.
»Ich denke, Sie sollten zunächst abwarten und uns unsere Arbeit tun lassen. Danach sehen wir weiter.«
»Und Sie wollen jetzt zum Friedhof?«
»Ja, uns umschauen.«
Er sagte dazu nicht mehr viel. »Ich wünsche Ihnen viel Glück. Stoppen Sie auf jeden Fall diese verdammte Bestie. Darum kann ich Sie nur bitten.«
***
Anne Höller tappte durch die fast lichtlose Finsternis. Sie sah nur den grauen Ausschnitt, der sie schon die ganze Zeit über angezogen hatte.
Deshalb war sie hingegangen und hatte eine Treppe hochsteigen müssen, um dann eine Tür zu erreichen, durch deren Ritzen das schwache Licht fiel und ihr zeigte, dass es draußen noch nicht finster geworden war. Darum versuchte die neue Vampirin auch nicht, die Tür zu öffnen. Sie nahm diesen Weg nur zur Kenntnis. Immer wieder streifte sie durch das Verlies. Es war sogar ein recht großer Raum. Vergleichbar mit einem Keller, in dem man so einiges hätte lagern können, aber er war leer. Es standen keine Gegenstände herum. Weder Kisten noch Fässer. Und so hatte sie genügend Platz, immer wieder einen bestimmten Weg zu gehen, was auch gut war, denn sie spürte, dass die erste Steifheit längst verschwunden war.
Ihr Hunger nach Blut blieb bestehen. Er hatte sich sogar verstärkt und war zu einer Gier geworden. Sie brauchte Menschenblut, denn nur diese Flüssigkeit war in der Lage, ihr die nötige Kraft zu geben, die für ihre Existenz unabdinglich war.
Und sie dachte an Darius. Das war so etwas wie eine Ablenkung. Immer wieder erschien das Gesicht dieser faszinierenden Gestalt wie ein Schnappschuss vor ihren Augen. Sie sehnte sich Darius herbei, und sie glaubte daran, dass er sie zum Blut führen würde, wo sie sich endlich satt trinken konnte.
Zeit verstrich. Die Stunden rannen dahin. Alles war so zäh geworden, und Anne ging noch immer durch ihr Verlies. Sie spürte keine Kälte, die sich wie ein feuchter Film zwischen den Mauern hielt. Sie war zu einem neutralen Wesen geworden, denn auch große Hitze hätte ihr nichts ausgemacht. Anne fieberte danach, dass die Zeit verstrich und endlich die Dunkelheit hereinbrach. Im Winter sank die Sonne früher, und darauf wartete sie.
Wo sich Darius aufhielt, wusste sie nicht. Auch einer wie er musste sich am Tag verbergen, aber er war jemand, der das alles unter Kontrolle hatte. Sie wusste auch nicht, woher er kam. Er war einfach da, und das war gut.
Wann endlich kam er zu ihr?
Diese Frage beschäftigte sie nicht nur, sie quälte sie auch. Als Mensch hätte ihr Herz sicherlich schneller geschlagen, als
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