1605 - Blutnacht - Liebesnacht
Nahrungsquelle.
Wie dem auch sei, wir hatten uns vom Gefühl her für den alten Friedhof entschieden und auch deshalb, weil dieser Platz etwas Besonderes war.
Der ideale Treffpunkt für ein einsames Rendezvous, das schließlich tödlich enden konnte.
Wir mussten vom Weg ab, und schon bald knirschte der harte Schnee unter den Winterreifen.
Ich hielt mich an Dagmars Hinweis und stellte den Opel dort ab, wo sie und Harry auch in der letzten Nacht geparkt hatten. Die Spuren waren noch vorhanden, ebenso wie die des anderen Wagens, mit dem der Notarzt gekommen war.
Das Gesicht meiner Begleiterin wirkte wie versteinert, als sie den Wagen verließ. Einen Kommentar gab sie nicht ab. Ich konnte allerdings nachfühlen, wie es in ihr aussah. Neben dem Fahrzeug blieb sie wie ein Denkmal in der Kälte stehen.
Auch ich stieg aus. Mein Blick glitt automatisch über die niedrige Krone der Mauer hinweg. Ich schaute auf eine mit Schnee bedeckte Fläche, aus der immer wieder Grabsteine und alte Kreuze hervorragten, die zum großen Teil noch mit weißen Hauben bedeckt waren.
Zu sehen war nichts. Zumindest entdeckten wir keinen Menschen. Dagmar und ich standen vor der Mauer in der kalten Einsamkeit. Wir sprachen nicht miteinander. Vor unseren Lippen dampften die Atemfahnen.
Dagmar deutete über die Mauer hinweg.
»Wir werden noch ein paar Meter laufen müssen, um den Ort zu erreichen, wo es passiert ist.«
»Okay, dann frieren wir nicht fest.«
»Dein Humor hat dich nicht verlassen, wie?«
»Nein. Warum auch? Wenn ich den nicht mehr hätte, könnte ich meinen Job an den Nagel hängen. Und da sich Harrys Zustand nicht verändert hat, sollten wir nicht so schwarzsehen.«
»Ich versuche, mich daran zu halten, John.«
»Das ist gut.«
Es interessierte uns nicht, wo sich der offizielle Eingang befand. Wir kletterten über die Mauer, was kein Problem war. Auf der anderen Seite versanken wir mit unseren Schuhen im Schnee und zerdrückten dabei die harten Kristalle an der Oberfläche.
Auch jetzt, da wir einen besseren Blick über die Gräber hatten, war nichts zu sehen von einer anderen Person, die diesem einsamen Totenacker einen Besuch abgestattet hätte. Eine nächtliche Stille umgab uns, die hin und wieder von einem leisen Knistern gestört wurde, wenn irgendwo Schnee ins Rutschen geriet.
Ich ließ Dagmar vorgehen. Schließlich kannte sie sich hier aus. Sie bewegte sich sehr zielsicher und war dabei nur auf einen Punkt fixiert, während ich meine Blicke schon mal zu den Seiten streifen ließ, um nach irgendwelchen Auffälligkeiten Ausschau zu halten, die mir allerdings nicht auffielen.
Dagmar führte mich quer über das Gelände, wobei sie sich bemühte, nicht auf die Gräber zu treten, was beinahe unmöglich war, denn der Schnee hatte alles gleich gemacht.
Ich war froh, dass Windstille herrschte. Bei diesen Temperaturen einen scharfen Wind ertragen zu müssen, war keine reine Freude. Die Kälte drückte schon genug, und sie hatte mit Einbruch der Dämmerung noch zugenommen.
Es hätte eigentlich schon dunkler sein müssen. Dass es noch recht hell war, lag am Schnee.
Wir waren und blieben die einzigen Menschen auf dem Friedhof. Das änderte sich auch nicht, als Dagmar nach rechts abbog, um den Punkt anzusteuern, der unser Ziel war.
Hohes Gras befand sich in der Nähe. Natürlich war der Boden auch hier mit einer weißen Schicht bedeckt. Aber es kam noch etwas hinzu, denn als ich zu Boden schaute, sah ich die dunklen Punkte auf der hellen Oberfläche.
Dagmar deutete auf die. »Das ist Harrys Blut«, flüsterte sie. »Es war ein wahnsinniger Hieb, der ihn getroffen hatte. Noch jetzt wundere ich mich darüber, dass er ihn überlebt hat. Als ich das Geräusch hörte, da dachte ich, es wäre vorbei mit ihm.«
»Das kann ich verstehen«, murmelte ich und fragte: »Was ist mit dir? Wie ist es dir dabei ergangen?«
Sie winkte ab. »Ich habe einfach nur Glück gehabt. Dieser Darius war voll und ganz auf Anne fixiert. Das ist mein Glück gewesen.«
»Ja, so sehe ich das auch.«
Dagmar blickte sich um. Sie suchte nach Spuren. Es war nichts zu finden. Dass hier etwas stattgefunden hatte, war daran zu erkennen, wie platt der Schnee in der Umgebung getreten worden war.
Sie richtete sich wieder auf.
»Nichts, John, gar nichts.« Sie zog die Nase hoch und schüttelte den Kopf.
»Womit hast du denn gerechnet?«
»Ich weiß es nicht.«
»Du hast dabei nicht an Darius gedacht?«
»Doch, das habe ich.«
»Und?«
»Es ist doch
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