1605 - Blutnacht - Liebesnacht
an dem du mich getroffen hast. Das ist unser Ziel.«
»Und das frische Blut?«
»Wartet dort auf dich…«
***
Dagmar und ich rollten den Weg wieder zurück. Der Himmel hatte sich verändert. Die Zeit war fortgeschritten, und die Bläue dort oben wurde von breiten violetten Streifen durchzogen, die von einer allmählich sich nach Westen neigenden Sonne hinterlassen wurde.
Auch der Mond zeigte sich bereits als ein blasses Gebilde.
Vampirwetter…
So stand es in den alten Legenden, und so hatte es sich tatsächlich bis heute gehalten.
Dagmar Hansen hatte mich den Wagen lenken lassen. So fuhr ich ihn auf dem grauen Belag der Straße durch die mit Schnee bedeckte und erstarrte, leichenblasse Landschaft.
Dagmar hatte mir nicht grundlos das Lenkrad überlassen. Die Sorge um Harry ließ sie nicht los. Dafür hatte ich mehr als nur Verständnis, denn auch ich machte mir Sorgen um ihn.
Da Dagmar neben mir saß, konnte sie telefonieren. Es dauerte etwas, bis die Verbindung stand. Sie ließ sich mit der entsprechenden Station verbinden, sagte ihren Namen, der dort bekannt war, und wollte wissen, wie es dem Patienten ging. Sie hatte den Lautsprecher eingeschaltet, damit ich mithören konnte.
So vernahm auch ich die Stimme des Arztes. »Der Zustand ist gleich geblieben, Frau Hansen.«
Dagmar verdrehte leicht die Augen. »Und was bedeutet das?«, fragte sie.
»Er hat sich nicht verschlechtert.«
»Kann ich das als Hoffnung ansehen?«
»Das liegt ganz bei Ihnen, Frau Hansen.«
»Ja, ich weiß. Aber Sie sind der Mediziner und haben Ihre Erfahrungen.«
»Schon.«
»Das hat sich nicht gut angehört.«
»Nun ja. Ich kann Ihnen keine große Hoffnung machen. Wir haben keine Hinweise auf eine Veränderung seines Zustandes feststellen können. So ist das nun mal. Auch wenn es Ihnen schwerfallen wird, Frau Hansen, aber was Sie jetzt brauchen, ist Geduld. Einen anderen Rat kann ich Ihnen nicht geben.«
»Danke, Doktor. Aber es bleibt dabei, dass Sie mich anrufen, wenn sich etwas verändert hat? Meine Nummer haben Sie ja.«
»So war es abgemacht, so wird es bleiben. Darauf können Sie sich verlassen.«
»Danke.«
Das Gespräch war vorbei, und Dagmar warf mir einen Seitenblick zu.
»Du hast alles gehört?«
»Ja.«
»Und dein Kommentar?«
»Was soll ich sagen, Dagmar? Ich denke mir, dass die Ärzte ihr Bestes tun werden.«
»Können sie denn viel tun?«
»Ich weiß es nicht. Sie können Harry wohl nur künstlich ernähren und unter Beobachtung halten. Nur leider nicht den Zeitpunkt bestimmen, wann er sein Bewusstsein zurückerlangt. Das ist leider so, und damit musst du dich abfinden.«
»Leider.«
Ich strich mit einer Hand über ihren Arm. Meine Stimme klang leise, als ich sagte: »Ich kann verstehen, wie es in dir aussieht. Auch ich mache mir Gedanken. Aber wir können nichts dagegen tun.«
Sie nickte. Die Lippen hielt sie zusammengepresst. Ihre Wangen glühten. Auch Dagmar Hansen war eine besondere Person. Sie war eine Psychonautin, eine Frau, in deren Genen ein uraltes Erbe schlummerte, eben das der Psychonauten, die damals in vorchristlicher Zeit durch ihre besonderen Fähigkeiten auserwählt waren, die Rätsel der Welt zu lösen, und das dank ihres dritten Auges, das sich in bestimmten Situationen auf der Stirn zeigte.
Leider war das hier nicht der Fall. Wir konnten es nicht als eine Hilfe ansehen, denn im Kampf gegen die blutsaugenden Vampire galten andere Gesetze.
Das Dorf lag hinter uns. Da wir eine gewisse Höhe erreicht hatten, waren die Dächer der Häuser auch nicht mehr im Rückspiegel zu sehen. Wir kamen uns schon recht einsam in dieser hügeligen Landschaft vor, deren Himmel immer dunkler wurde.
Die Dunkelheit war die Zeit der Wiedergänger. Da waren sie den Menschen überlegen. Da schöpften sie ihre Kraft und nicht im hellen Sonnenlicht, das tödlich für sie war. Zumindest im Normalfall.
Dass es Ausnahmen gab, wusste ich, es spielte hier allerdings keine Rolle.
Ich hatte die Scheinwerfer eingeschaltet. Ein weißgelber Schein glitt über die Schneefläche. Das starke Fernlicht leuchtete weit vor uns. Und es traf bereits die Mauer, die den Friedhof umgab.
»Da ist er ja«, flüsterte Dagmar. Die Worte klangen irgendwie erlöst. Sie hatte lange warten müssen.
Ob es richtig war, dass wir zum Friedhof gefahren waren, wusste keiner von uns. Wir hätten auch im Ort bleiben und uns dort umschauen können, denn die Menschen in den wenigen Häusern waren für einen Blutsauger eine ideale
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