1606 - Die Zeit-Bande
nicht nur Godwin wusste, sondern auch seine Frau.
Sophie reagierte schneller als er.
»Der Sessel!«, schrie sie. »Du musst auf den Knochensessel, schnell!«
Die Worte schrillten durch Godwins Kopf. Innerhalb einer Sekunde war ihm klar, dass Sophie recht hatte. Der Knofliensessel war seine einzige Chance.
Der Templer wusste, dass der Sessel instabil war. Er würde nicht zusammenkrachen, wenn er sich auf ihn warf. Er gehörte zudem zu den wenigen Menschen, die der Sessel akzeptierte. Er stürzte vor.
Auch Randolf setzte sich in Bewegung. Er ahnte, dass etwas im Gange war, das seinen Plan zum Scheitern brachte, und das durfte er auf keinen Fall geschehen lassen.
Nur hatte Godwin einen Vorteil auf seiner Seite. Der Knochensessel stand ihm näher als seinem Gegner, und das nutzte er aus. Er warf sich in Höhe des Sessels mit einem derartig wilden Schwung nach links, dass er trotzdem befürchtete, er würde ihn zerstören.
Wuchtig krachte er auf die knochige Sitzfläche.
Brach sie? Brach sie nicht?
Nein, sie hielt.
Im nächsten Augenblick spürte er eine Vibration, die sofort seinen ganzen Körper erfasste. Etwas ging von dem Sessel aus, das aber nicht nur ihn betraf, sondern auch seinen Feind. Er war schon zu nahe heran und wurde von dieser gefährlichen Aura erfasst.
Die Waffe hatte er hochgerissen. Aber er brachte sie nicht mehr nach unten. Durch seine Gestalt lief ein Zittern. Sie erbleichte, und noch in derselben Sekunde verstärkte sich die ungewöhnliche Lichtbrücke und sorgte für Randolfs Verschwinden.
Vor den beiden Augenpaaren löste sich die Gestalt des Ritters auf, als hätte es sie niemals zuvor gegeben.
Sophie und Godwin befanden sich allein im Zimmer.
Die Frau mit den blonden Haaren hatte ihre Hände vors Gesicht geschlagen, als wollte sie alles nicht zur Kenntnis nehmen.
Es gab keinen Ritter mehr. Damit musste auch der Templer fertig werden. Der Knochensessel hatte ihm tatsächlich das Leben gerettet, und so war er einem gewissen Jacques de Molay sehr dankbar dafür, dass dessen Gebeine ihm das Leben gerettet hatten.
Erst nach einer Weile gelang es ihm wieder, sich zu bewegen. Da drehte er nur den Kopf und schaute zur Tür hin, wo seine Frau stand und Tränen von den Wangen wischte.
Ihre Lippen zitterten, als sie flüsterte: »Wer ist das gewesen, Godwin?«
»Er heißt Randolf von Eckenberg.«
»Und sonst?«
»Er wollte mich töten.«
»Warum das?«
»So genau weiß ich es nicht, Sophie. Aber ich glaube, es handelt sich um eine alte Rache aus dem Mittelalter, denn dort waren wir nicht eben Freunde.«
***
Suri Avila lag auf dem Rücken wie ein großer hilfloser Käfer. Sie hatte sich noch nicht fangen können und war nicht in der Lage, sich zu bewegen, um dieser gefährlichen Situation zu entkommen. Sie war sich sicher gewesen, zu siegen. Jetzt hatte sich alles umgekehrt, und das Gegenteil war eingetreten.
Über ihr stand Johnny. Er berührte das Eis nicht. Den Griff des Schwertes hielt er mit beiden Händen fest, hatte die Arme erhoben, und die lange Klinge der Waffe zeigte auf das Gesicht der Mörderin.
Es war seine Chance.
Er brauchte die Waffe nur fallen zu lassen, und sie würde in das Gesicht hineinstoßen und es zerstören.
Auge um Auge - Zahn um Zahn!
So stand es in der Bibel. Danach handelten noch viele Menschen, und genau das hätte Johnny auch jetzt tun können, aber er zögerte noch. Er starrte das noch junge Gesicht an. Suri war kein normaler Mensch, er sah sie auch nicht unbedingt als Zombie an, denn daran hatte er andere Erinnerungen.
Einfach zustoßen. Die Waffe fallen lassen. Es würde auf das Gleiche herauskommen. Sie hat dich killen wollen!, schoss es ihm durch den Kopf. Sie hätte dich grausam ermordet, sie hätte…
Seine Gedanken brachen ab. Urplötzlich fühlte er sich schlecht. Das alles stimmte, das entsprach den Tatsachen, aber hatte er wirklich das Recht, Gleiches mit Gleichem zu vergelten? Sollte er sich auf eine Stufe mit der Mörderin stellen?
Es waren die Gedanken, die ihn unsicher machten. Johnny war kein Killer, und wenn er die Klinge jetzt in das Gesicht des Mädchens stieß, dann sah er sich selbst als Mörder.
Auf der anderen Seite hätte er Ruhe vor ihren Nachstellungen gehabt, aus welchem Grund sie auch immer erfolgt waren. Er gab zu, sich in einer Zwickmühle zu befinden, aus der ihm niemand heraushalf.
Suri Avila tat nichts, was ihn zu einer Handlung hingerissen hätte. Sie lag einfach nur auf dem Rücken und starrte zu ihm hoch,
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