161 - Der Kristallschlüssel
entgegengebracht. Er hatte schließlich nicht mehr als ein paar Gesprächsfetzen gehört und keine handfesten Beweise. Der einzige Name, den er gehört hatte, lautete Carter. Es könnte sich hier um Carter Loy Tsuyoshi handeln, den Berater der ehemaligen Präsidentin, der bei einem Gefecht mit Matt und den Waldleuten lebensgefährlich verletzt worden war. Aber Carter war ein beliebter Name, er ging auf den legendären Gründer John Carter zurück.
Man konnte alles auch ganz anders auslegen; es war durchaus möglich, dass Matt komplett die falschen Schlüsse zog, und er musste sehr vorsichtig sein mit irgendwelchen Anschuldigungen gegen eines oder sogar zwei Häuser.
Matt musste plötzlich an Maya Joy Tsuyoshi denken.
Wenn überhaupt, dann würde er ihr vertrauen. Aber um sie zu informieren, brauchte er eindeutige Beweise, denn wer wusste schon, ob nicht möglicherweise auch Leto Jolar Angelis seine Finger im Spiel hatte, Mayas Freund, der ihr sehr nahe stand.
Ach was, dachte Matt dann und winkte innerlich ab.
Der Kerl ist zwar ein arroganter Arsch, der sich für was Besseres hält, aber er ist absolut integer. So blütensauber, dass einem schlecht davon werden kann. Unmöglich, dass er was damit zu tun hat.
Ab sofort musste Matt Augen und Ohren noch mehr offen halten als sonst.
Diese Gonzales wollen unbedingt an die Macht, überlegte er. Im Grunde keine üblen Kerle, fähige Erfinder und Wissenschaftler, wie ich inzwischen weiß, mutig und risikobereit. Aber ihnen ist jedes Mittel recht, um sich durchzusetzen und an die Spitze zu kommen.
***
Man nennt mich den Weltenwanderer, und tatsächlich wandle ich auf Pfaden, die anderen nicht zugänglich sind.
Der Mars ist mein Vater.
Er hat mich geboren und mir seinen Lebensatem gegeben. Ich kann seinen Puls in mir fühlen, der im Gleichklang mit meinem schlägt. Ich sehe den roten Staub durch seine Augen, ich höre das Rieseln des Sandes durch seine Ohren, ich fühle seinen rauen Fels und schmecke den Atem des Windes.
Der Mars ist mein Verbündeter, und mein Hirte. Ich pflege seine Bäume, und ich hege seine Geschöpfe. Dafür gibt er mir Nahrung, Kleidung und Unterkunft. Ich achte den Mars, wie ich mich selbst achte. Ich lausche seiner Stimme und handle stets so, dass er nicht Trauer oder Sorge empfinden muss.
Ich bin alles durch ihn, und er ist alles durch mich.
Ich verneige mich vor meinem Vater und danke ihm für seine Güte, mich aufzunehmen und zu behüten.
Ich bewahre seine Lehren und vergesse sie niemals.
Ich werde weitergeben, was ich gelernt habe.
Ich bin Sternsang, der Uralte.
Er kauerte sich ans Ufer des kleinen Sees, in ausreichendem Abstand zu dem irisierenden Strahl, der aus den Tiefen des roten Planeten gespeist wurde und die Weite des Alls durcheilte, um sein Ziel zu erreichen, die blaue Schwester. Langsam schlug Sternsang ein Bein über das andere. Er hörte ein leises Knacken in den Gelenken. Viel Fleisch war nicht mehr auf den Knochen, und er merkte von Tag zu Tag, wie der staubige Atem des Mars ihm mehr und mehr Flüssigkeit entzog und ihn austrocknete. Wie eine Dörrfrucht, so kam er sich bald vor mit seiner faltigen Haut, die an ihm herabhing wie ein zu groß gewordener Anzug.
Trotzdem war er noch keineswegs so verweichlicht wie ein zwanzig Jahre jüngerer Städter, dessen Bewegung darin bestand, sich von seinem Wohnhaus in einen Solarzellenflitzer oder Gleiter zu begeben, und von dort aus mit dem nächsten Lift zu seiner Arbeitsstelle, oder wohin auch immer. Sternsang war nicht mehr so flink wie früher, aber er nahm sich eben mehr Zeit. Es amüsierte ihn, wie der eine oder andere Städter, auch der Erdenmann Maddrax, hinter ihm herzuklettern versuchte, wenn er sich auf seinem Meditationsplatz aufhielt. Sie stellten sich an wie Fische auf dem Trockenen, einfach unglaublich. Sie konnten die Stimme der Natur überhaupt nicht mehr hören; sie wussten nicht, wie es war, sich durch Baumgeäst zu schwingen, mit den Pflanzen zu sprechen – und den einfachsten Weg zu finden.
Was die Städter von ihm hielten, war ihm völlig gleichgültig. Sie hatten sowieso nie gelernt zuzuhören, also was sollte er ihnen erzählen oder sich mit ihnen auseinandersetzen? Sie waren in ihrer Technikhörigkeit blind und taub geworden, dabei konnte man viel einfacher im Einklang mit dem Mars leben.
Natürlich hätten sie es ohne Technik nicht geschafft, eine Zivilisation und auch den Wald aufzubauen, Sternsang war ja kein Narr. Aber am Scheideweg hatten die
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