1610 01 - Der letzte Alchimist
wie er mir bei unserem letzten Kampf ausgewichen war, und zuckte wieder mit den Schultern. »Hätte ich in der Tat mit Mylord Cecil über Euch gesprochen, nehmt Ihr dann an, er hätte mich wieder zu Euch zurückgeschickt?«
»Das ist doch offensichtlich.« Fludd lächelte traurig.
Er ist wirklich verrückt, dachte ich, ließ mir das aber nicht anmerken. Ein paar geschickte Vermutungen, das Zusammenbasteln von Prophezeiungen aus Gerüchten und Beobachtungen … Wie viele solcher Scharlatane haben sich schon am französischen Hof versucht? Nur dass er diese ›Prophezeiungen‹ wirklich glaubt, ungeachtet sämtlicher Widersprüche.
Je schneller Cecil ihn zum Verhör in den Tower verfrachtet, desto besser. Dann habe ich endlich nichts mehr mit diesem verwirrenden Zeug zu tun!
»Ich überlasse Euch nun Madame Laniers fähigen Händen«, sagte er. »Bleibt für die Reise bei den Wagen, dann ist es unwahrscheinlicher, dass Ihr angegriffen werdet oder Euch verirrt. Glücklicherweise kennt der Kolonnenführer den Weg, denn unsere Straßen sind wesentlich schlechter als jene, die der Duc de Sully in Frankreich zu bauen beliebt.«
Das tat weh, aber ich machte mir nicht die Mühe, darüber nachzudenken, ob Fludd es wirklich böse gemeint hatte. Im Augenblick beschäftigte mich mehr die Frage, wie rasch ich wieder zurückkehren würde, und wie lang es wohl dauerte, bis Robert Cecil eine Information aus Paris erreichte. Was machte mein Herr, der Herzog, nun da Heinrichs Regierung offenbar mit einem Schlag, zusammengebrochen war … mit einem Schlag, geführt von Ravaillac.
Wie lange würde die Königin ihn noch in Ruhe lassen? Je mehr ihn im Stich lassen – Jeannin! Arnaud! –, desto weniger muss sie ihn tot sehen. Aber falls er sich wieder erholen sollte … In der gegenwärtigen Situation waren zehn Tage auf dem Land die reinste Folter für mich!
Nun denn: Ich werde so kurze Zeit wie möglich hier verbringen.
Lauter werdendes Plappern verriet, dass der Wagenzug zur Abfahrt bereit war. Ich schwang mich in den Sattel und lenkte den Hengst in Richtung Kolonne. Ich blickte nicht zu Robert Fludd zurück.
In der ersten Nacht außerhalb Londons trieb ich es mit Aemilia Lanier.
Madame Lanier erwies sich als eigensinnige, aber überraschend gebildete Reisegefährtin. Auf dem kleinen Sitz auf dem Tragegestell saß sie unangenehm nah an den stark riechenden Stoffbündeln, und als wir schließlich die Lambeth Marshes erreichten, hatte sie an meine Ritterlichkeit appelliert, und ich ritt mit ihr quer vor mir auf dem Sattel aus den Vorstädten Londons hinaus. Der Hengst besaß keinerlei Tugenden, die sich mit denen meiner beiden Andalusier hätten vergleichen lassen, aber er war kräftig genug, um zwei zu tragen.
»Ich bin Witwe«, sagte sie nicht lange, nachdem wir ganz selbstverständlich zu reden begonnen hatten. »Signore Alphonse Lanier war Musiker am Hof Ihrer verstorbenen Majestät. Offenbar muss man unter ihrem Nachfolger jedoch auf eine Pension verzichten.«
Ihre Augen funkelten heiter, als ich den Blick senkte. Viele Männer versuchen, der zweite Mann einer Witwe zu werden. Mit ihrer Wärme an meiner Brust und meinem Arm um ihre runde Hüfte geschlungen, empfand ich es als angenehm, etwas so Weibliches in den Armen zu halten.
»Aber Stückeschreiber, Madame?«
»Poet«, korrigierte sie mich. »Dieses Maskenspiel und dieses Theaterstück brauchen ihre Zeit, aber das Werk, für das ich bekannt sein werde, wie Fludd mir versichert, ist schon teilweise fertig: Salve Deus Rex Judaeorum . Es ist ein Gedicht, das sich den tugendhaften Frauen der Bibel widmet und im Rückschluss darauf hinweist, wie sehr sich die Männer heute irren, wenn sie an allem Übel den Frauen die Schuld geben. Ich werde es Lady Arabella Stuart widmen.«
Dieser Name war mir vertraut. Das war eine Cousine des Stuartkönigs, von der mein Herr Sully glaubte, dass sie im Jahre 1603 einen ebenso großen Anspruch auf den Thron gehabt hatte wie James. Aemilia würde nur wenig Geld dafür bekommen, wenn sie ihre Poesie einer Frau widmete, die der König nicht gerade mit einer üppigen Pension bedachte.
Ich täuschte Überraschung vor. »Wird so etwas denn noch nötig sein? Wenn Ihr die Mitverschwörerin des Mannes seid, der Heinrich IX. auf den Thron setzt, werdet Ihr dann keine einflussreiche Frau unter der neuen Regierung sein?«
Wir ritten gerade durch Apfelplantagen. Aemilia antwortete mir mit feiner, aber beißender Ironie. »Ich nehme an, man wird
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