1610 03 - Soehne der Zeit
Fenster fiel, war inzwischen grau geworden, wie ich bemerkte. Wolken zogen von Westen heran. Ich stand auf, hielt einen Wachsstock ins Feuer und entzündete damit die Kerzen, ohne mich darum zu kümmern, wie viel das kostete.
Nachdem das getan war, blickte ich noch ein, zwei Augenblicke auf das Papier … Dann schnappte ich mir ein Blatt nach dem anderen, hielt sie in die Flamme der mir am nächsten stehenden Kerzen und zertrat dann die Asche auf dem Boden.
So endet es also.
Ich habe genug mit Fludd und Gabriel zu tun, mit James Stuart und der Medici-Königin und mit Gott weiß wem noch.
Ob dieses Gedankens erschien ein willkommener Funken der inneren Stärke in meinem Geist.
Saburo, Caterina, Cecil: tot. Messire de Sully: Soweit es mich betraf, war auch er nicht mehr da. Es ist normal, dass Menschen aus unserem Leben verschwinden.
Doch stets nehmen andere ihre Plätze ein.
Und Arbeit ist das beste Heilmittel gegen Melancholie – vor allem wenn es sich um eine kindische Melancholie handelt, wie sie einem fünfzehnjährigen Mädchen, aber keinem vierzigjährigen Mann ansteht. Arbeit ist sehr nützlich für einen Mann. All das wusste ich schon seit langem.
Ich bezahlte meine Rechnung, sattelte mein geliehenes Pferd und ritt aus Montargis davon. Am Stadtausgang schaute ich mich um, um zu sehen, welche Straße nach Südwesten führte – und trotz allem wendete ich mein Pferd in Richtung des Guts der Familie de la Roncière.
Idiot. Dummkopf. Narr.
Ja, und der ganze Rest, dachte ich.
Das war eine Lektion, die mir die Brüder von Mademoiselle nur allzu gerne einbläuen würden, wenn ich sie jenseits dessen provozierte, was Brunos Formel vorgab.
Das ging mir durch den Kopf, als ich zum Gut der de la Roncière ritt und leise hineinschlüpfte. Ich bezweifelte, dass ihre Brüder über genügend Verstand verfügten, um von selbst darauf zu kommen, dass selbst ein ›abgehärteter Mörder‹ (eine Bezeichnung, die mich ihr Bruder Ambroise am vergangenen Abend hatte hören lassen) oder ein ›elender Söldner und Spion‹ (das war Bruder Ogiers Version) es zumindest merkwürdig finden würde, die Brüder der Frau zu töten, die er liebte.
Auch kam mir der Gedanke, dass ich am Vorabend wie ein Zwanzigjähriger auf dem Weg zu seiner ersten, ernsten Affäre in die Festivitäten auf dem Familienschloss geplatzt war: mit dem Herz in der Hose und Stolz in der Tasche. Wäre ich nicht zweimal zwanzig gewesen, und hätte ich nicht über genügend Erfahrung verfügt, meine Gefühle zu verbergen, jeder hätte es sofort bemerkt.
Aber wie ist es mir dann gelungen, einen derart falschen Eindruck bei Mademoiselle Dariole zu erwecken?
Selbst im Reiten brauchte ich mir nur die fließenden Bewegungen ins Gedächtnis zurückzurufen, mit denen sie ein Rapier führte, und schon fühlte ich mich unwohl im Sattel. Und obwohl ihr Busen von dem engen Mieder platt gedrückt worden war, hatte sich mein Schwanz unangenehm geregt. Ihre Hände in den meinen waren warm, aber nicht weich gewesen – die Schwielen verschwanden nicht nach ein paar Monaten.
Ich schüttelte den Kopf und ritt zu den Ställen hinter dem Château. Es war kurz vor Mittag, jene Zeit, da die Stallburschen in der Küche hockten, um den Wein ihres Herrn zu trinken, solange sie Gelegenheit dazu hatten, da ihre Herrschaften nach dem Fest noch schliefen.
Musste ich den Gedanken an eine Rosenkreuzer-Schwester endgültig begraben? Würde ich jemals wieder hierher zurückkehren können?
In einem Jahr vielleicht, um ihr erstes Kind zu sehen?
Die Vorstellung traf mich wie ein Dolch. Das kann ich nicht zulassen.
Ich stieg ab und betrat die Stallungen. Ich stolperte in dem schwachen Laternenlicht über etwas. Fluchend trat ich es beiseite, hob es auf und hielt es in das graue Tageslicht, das durch das Tor hereinfiel.
Es war ein Stoffbündel.
Grob mit Bindfaden zusammengebunden. Seide und Leinen zusammen – bestes, durchscheinendes Leinen. Als ich genauer hinschaute, sah ich, dass die Seide von feinstem Azurblau war.
Ich ließ das Bündel fallen und richtete mich wieder auf. Meine Nerven waren aufs Äußerste gespannt, und ich legte die Hand aufs Rapier. Derart verschnürte Kleider zeugen nicht von einer Entführung …!
Sie kam aus den Schatten am anderen Ende der Scheune, führte ein Pferd an den Zügeln und hatte sich ein Bündel über die Schulter geworfen.
Sie trug ein graues Samtwams und eine venezianische Hose. Keines der beiden Teile passte ihr.
»Rochefort?«
Sie
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