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1610 03 - Soehne der Zeit

1610 03 - Soehne der Zeit

Titel: 1610 03 - Soehne der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Gentle
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sich am nächsten Morgen auf dem Duellplatz entschuldigen würde, wenn ich den Code befolgte.
    Ja, Mademoiselle, auch das war damals nicht anders als heute. Ein Schlag ist etwas, wofür man sich nicht mit Worten entschuldigen kann. Wenn ein Mann reumütig das Feld betritt, muss er bereit sein, vor der beleidigten Partei niederzuknien und um Gnade zu bitten. Und er muss einen Stock mitbringen, den man auf seinem Rücken tanzen lassen kann – so wie ein Mann seinen Diener bestraft.
    Ich habe so etwas nur ein einziges Mal gesehen: Der Mann wurde verprügelt und anschließend von jedermann ob seiner Feigheit gemieden.
    Würde so etwas jetzt passieren, würde ich einfach für ein, zwei Jahre ins Ausland gehen. Aber ich bin Rochefort, und es gibt nur wenig, auf das man mich förmlich mit der Nase gestoßen hat, ohne dass ich es beachtet hätte. Der Sohn der Cossé Brissac … Die Liste seiner Heldentaten war makellos, und er fürchtete nichts mehr als öffentlichen Spott. Kurz gesagt: Er besaß ein Ehrgefühl.
    Aber er liebte auch seinen Freund Etienne, doch Etienne wollte in jener Nacht einfach keine Vernunft annehmen.
    Ich dachte darüber nach, auf den Duellplatz zu gehen, zu kämpfen und ihn an irgendeiner ungefährlichen Stelle zu verletzen. Aber Etienne … Wir hatten schon immer über seine Sturheit gescherzt. Er würde weder beim ersten noch beim zweiten Blut aufgeben. Das wusste ich.
    Bei Sonnenaufgang am nächsten Tag traf ich Etienne zusammen mit dem halben Hofstaat, der zusehen wollte. Das war einfach nur dumm, denn der König hatte geschworen, die nächstbesten Duellanten zu hängen, die er erwischte.
    Mademoiselle, ich bin ein stolzer Mann. Das wisst Ihr. Und als Junge war ich nicht anders, vielleicht sogar noch extremer. Stellt Euch einmal vor, wie ich mich gefühlt habe, wenn ich Euch sage, dass ich tatsächlich einen Stock mit auf den Platz genommen habe.
    Ich tat, was von mir verlangt wurde. Ich kniete mich ins feuchte Gras und bat demütig um Vergebung dafür, ihn geschlagen zu haben. Und dann bot ich ihm den Stock an und forderte ihn auf, ihn auf meinem Rücken zu benutzen.
    Manchmal mögen wir unsere Freunde nicht allzu sehr, aber ich wollte Etienne in keinem Fall tot sehen! Also demütigte ich mich selbst. Um Euch die Wahrheit zu sagen, bin ich allerdings davon ausgegangen, dass er es bei einer symbolischen Berührung meiner Schulter mit dem Stock belassen würde.
    Er weigerte sich jedoch, den Stock zu nehmen.
    Er sagte, das sei nicht die Waffe eines Ehrenmannes.
    Kaum hatte ich mich niedergekniet, da kehrte ein solches Schweigen ein, dass man die Vögel singen hören konnte. Nun, nach Etiennes Worten, brandete großer Jubel auf. Meine eigenen Sekundanten zogen mich wieder in die Höhe.
    Ich war schockiert. Ich hatte schon immer eine außergewöhnlich hohe Vorstellung von meiner Würde, Mademoiselle, aber die Ehre verlangt ja auch nichts anderes von uns. Nun hatte ich meine Würde geopfert, meinen Namen und meinen Ruf, und trotzdem sollte ich noch gegen ihn kämpfen? Und das, obwohl er mich betrogen hatte und nicht umgekehrt?
    Er war ein guter Fechter, doch ich war eindeutig besser. Ich stieß ihm meine Klinge mitten durchs Herz – Ihr werdet den Stoß kennen. Er war tot, bevor er den Boden berührte.
    Ich wurde von den Marschällen des Königs verhaftet, und weil ich einen Mann im Duell getötet hatte, wurde ich wegen Mordes verurteilt. Und weil ich mich vor dem Duell niedergekniet hatte, enterbte mein Vater mich. Der Sieur de Brissac ließ alle Aufzeichnungen über die Geburt seines ältesten Sohnes löschen.
    Aber entweder hatte jemand von Einfluss sich zu Wort gemeldet, oder aber – was ich vermute – die Richter hatten Angst vor der Familie de Brissac. Auf jeden Fall hob man das Todesurteil auf und brandmarkte mich stattdessen mit der Lilie auf meiner Schulter.
    Das ursprüngliche Urteil war gerecht, da ich den Jungen getötet hatte, obwohl ich ihn hätte leben lassen können.
    Vor zwei Jahren hätte ich Euch genauso wenig davon erzählt, wie ich Euch eine geladene Pistole gegeben und aufgefordert hätte, sie mir an die Schläfe zu setzen …«
    Die letzten Tintentropfen flossen auf das Papier.
    Ich blickte nach unten und sah, dass die Feder farblos im Nichts kratzte, die Spitze gebrochen.
    Nein, den Rest kann ich nicht schreiben. Ich kann nicht.
    Ich lehnte mich zurück und bewegte die Hand, die von der Spannung schmerzte, welche meinen gesamten Körper erfüllte. Das Licht, das durch die

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