1610 03 - Soehne der Zeit
blieb sofort stehen, band das Pferd rasch an einen Haken und ließ mich dabei keine Sekunde aus den Augen.
»Dariole«, sagte ich.
»Ambroises Kleidergeschmack gefällt mir nicht sonderlich, aber er hat fast meine Größe. Wart Ihr es nicht, der mir gesagt hat, dass man zur Mittagszeit eher mit einem Verbrechen durchkommt als um Mitternacht?«
Ich erschrak. »Verbrechen?«
»Ich laufe weg.« Ein breites Grinsen erschien auf ihrem Gesicht. »Messire Rochefort … wie es aussieht, begegne ich Euch immer in Ställen!«
Sie rannte zu mir, schlang die Arme um mich und jauchzte.
Ich stand stocksteif da, ihre Arme um meine Brust und meine eigenen zur Seite ausgestreckt, sodass ich sie nicht berührte.
»Dariole, wir müssen reden. Wir müssen …«
Ich schickte mich an, sie zu umarmen, zuckte dann aber wieder zurück. Leise fluchte ich vor mich hin und schlang dann doch die Arme um ihren Leib, drückte sie an mich und vergrub mein Gesicht in ihrem Haar.
Mit gedämpfter Stimme protestierte sie: »Ihr … erstickt … mich!«
Sofort löste ich meinen Griff. Ich hob den Kopf und blickte auf sie hinunter, in ihr gerötetes Gesicht, und sie lächelte so breit, dass ich die Lücke zwischen ihren weißen Zähnen sehen konnte.
»Messire.« Sie blickte mir in die Augen. »Ich kann hier nicht bleiben.«
»Aber Ihr habt so glücklich ausgesehen. Glücklich!« Vollkommen verwirrt schüttelte ich den Kopf. »Warum? Wie?«
Sie hielt mich weiter umarmt. Die Vertrautheit ihres Leibes an meinem verschlug mir den Atem.
»Ich kann hier nicht bleiben«, wiederholte sie mit Nachdruck. »Ich dachte, ich könnte. Ich dachte, ich könnte das hier zusammen mit meinen Hosen ausziehen.«
Mit das hier meinte sie das Rapier und den Dolch an ihrem Gürtel, die ich bis jetzt noch nicht einmal richtig wahrgenommen hatte, außer dass ich meine Umarmung dementsprechend angepasst hatte.
»Das bin ich nicht.« Sie nickte in Richtung Haus. »Das ist genauso wenig etwas für mich wie für Moll Firth, Lady Arbella oder sogar dieses Weib Lanier. Sie war eine Hexe und eine Hure, aber ich verstehe sie.«
»Ich wünschte, ich würde Euch verstehen!« Ich sollte aufhören, diese Frau in aller Öffentlichkeit zu umarmen, dachte ich – zumindest würde es ›öffentlich‹ werden, sobald die Stallburschen wieder zurückkehrten. »Eure Brüder werden mich töten!«
»Ich würde gerne sehen, wie sie das versuchen«, sagte Dariole mit ehrlicher Verachtung, und ich konnte nicht anders, als verlegen zu erröten.
»Man kann nicht sein, was man nicht ist«, sagte sie leise. »Es würde mich umbringen, Messire. Es ist mir egal, ob Ihr mit mir kommen wollt – ich verschwinde. Ich werde ihnen schreiben, aber ich werde nicht mehr hierher zurückkehren.«
»Was …?« Ich schluckte, strich ihr mit den Fingern übers Haar und begann von Neuem: »Was lässt Euch annehmen, dass ich das will, Mademoiselle?«
Sie drückte sich noch fester an mich, worauf mein Körper sofort reagierte. Ich fuhr mit dem Finger ihre Lippen entlang.
»Ich will Euch«, sagte ich hoffnungslos. »Auch wenn Ihr eine dumme Kuh seid, und Ihr wisst das.«
»Eine ›dumme Kuh‹?«
»Scherzt nicht darüber. Ich kann Euch nicht an jemanden binden, der doppelt so alt ist wie Ihr.«
»Mehr als doppelt so alt.«
»Dariole!«
»Ich werde von hier weggehen«, sagte sie. Der vertraute, sture Blick überraschte mich nicht. »Messire, wenn Ihr mich wollt, dann solltet Ihr das sagen. Und wenn Ihr wollt, dass ich Euch helfe, dann solltet Ihr das ebenfalls sagen. Ich werde nicht das Schwert auf Euch richten, um das aus Euch herauszuquetschen. Das müsst Ihr schon allein entscheiden.«
Ich seufzte. Kurz drückte ich meine Lippen noch einmal auf ihr Haar. »Bin ich wirklich solch ein offenes Buch für Euch?«
»Nein. Aber ich komme einfach nicht dahinter, warum Ihr mir immer wieder sagt, ich solle von Euch weggehen.«
Entsetzt schob ich sie ein Stück von mir weg, sodass ich ihr Gesicht sehen konnte. Tränen schimmerten in ihren Augen.
»Glaubt Ihr, dass ich Euch das sagen will?«
»›Geht weg‹, ›Sucht Euch einen jungen Mann‹, ›Ihr seid ein dummes, kleines Mädchen; bleibt bei Eurem Gemahl; Ihr seid nicht gut genug für einen erwachsenen Mann‹ …«
Unbeholfen glitt ich nach unten und schlang die Arme um sie. Der irdene Stallboden war kalt unter meinen Knien. Ich umklammerte ihre Schenkel und vergrub kurz mein Gesicht an ihrem Bauch.
Sie bewegte sich in meinen Armen. Ich glaube,
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