1610 03 - Soehne der Zeit
in meinem Beruf eigentlich nicht zu Papier bringen sollte. Trotzdem, Mademoiselle, will ich Euch das Wissen geben, das Euch noch fehlt. Ich will Euch erzählen, wie ich meine Stellung verloren habe und warum ich mit der Lilie gebrandmarkt worden bin.
Ich bin als Valentin Raoul St. Cyprian Anne-Marie Rochefort de Cossé Brissac geboren worden. Zumindest Rochefort ist also Teil meines richtigen Namens, Mademoiselle. Kurz vor ihrer Niederkunft befand meine Mutter sich in einer Kutsche auf dem Weg zum Château Brissac. Die Wehen überkamen sie jedoch schon drei, vier Meilen davor, in einem Dorf mit Namen Rochefort. Dort, in der Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit, hat sie mich zur Welt gebracht. Ich nehme an, sie hat das als Omen betrachtet und mir deshalb den Namen des Ortes gegeben.
Es gibt einen Grund, warum ich Euch nicht den Schutz und die Macht eines Marschalls von Frankreich anbiete.
Ihr werdet Gerüchte über den Hof des verstorbenen Heinrich III. von Valois gehört haben. Sie sind allesamt untertrieben. Was auch immer Ihr gehört haben mögt, ist weniger wüst als die Wahrheit.
Es mag Euch amüsieren zu erfahren, dass ich in jungen Jahren ein gutaussehender Junge war. Nein – hübsch. Ich hatte viele Gelegenheiten herauszufinden, ob ich Gefälligkeiten lieber gab oder empfing. Das taten alle von Heinrichs Jungen; etwas anderes erwartete er auch nicht von uns. Ja, das wird Euch wohl lächeln lassen. Ich war genau jene Art von précieux , die Ihr in Paris so verachtet habt.
Dann, als ich fast zwanzig war, habe ich einen Mord begangen, für den ich gebrandmarkt wurde.
Es überrascht mich immer noch, dass es so gekommen ist. Selbst am Hof Heinrich III. gab es nicht viele Edelmänner in meinem Alter, die ein Gericht des Mordes für schuldig befunden hätte.
Der Mann, den ich ermordet habe, Etienne de Gombeau, war mein engster Freund und manchmal auch mein Liebhaber. Wir alle waren das, was man ›Goldene Jungen‹ nennt.
Ihr werdet verstehen, dass wir auch als solche weiter den Ehrenregeln unterworfen waren.
Und Ehre folgt keiner Logik. Wir waren alle von edler Geburt, lebten aber von kleinen Diebstählen, da unsere Väter uns finanziell an der kurzen Leine hielten – und doch wurde eine Spielschuld als heilig betrachtet! Frauen wurden gnadenlos umworben, doch wenn sie dem Werben nachgaben und ihre Ehre verloren … Mademoiselle Dariole, im Lichte dessen mögt Ihr denken, dass wir verdienten, was wir bekommen haben.
Die persönliche Ehre – die Ehre körperlichen Muts in einem Duell – wurde genauso hoch gehalten. Egal wie viele Edikte der König gegen Duelle erließ, es war damals nicht anders als heute: Jeder Mann fühlte sich genötigt, solche Verbote zu ignorieren. Da Ihr selbst das Schwert so sehr liebt, werdet Ihr vermutlich über die Vorstellung lachen, dass ein Gesetz so etwas verbieten könnte.
Was geschehen ist, ist rasch erzählt. Aus Gründen, die er selbst wohl am besten kannte (allerdings nehme ich an, dass auch viel Dummheit im Spiel war), hatte mein Freund Etienne eines Abends beschlossen, mich beim Kartenspiel zu betrügen. Wir spielten in einem der Salons bei Hofe. Ich ertappte ihn und schüttelte die gezinkten Karten aus seinem Ärmel, sodass alle sie sehen konnte.
In der Folge … Nun, ich habe ihn nicht geschlagen, aber ich habe ihn geschüttelt, ihn einen Narren geschimpft und vor die Brust gestoßen. Gott weiß, dass ich Etienne das Geld jederzeit einfach gegeben hätte! Aber mich um das Geld zu bitten, wäre unehrenhaft gewesen.
Es kam zu einem kleinen Tumult, und sie trennten uns voneinander. Die Ehrenregeln besagten nun, dass wir beide Grund hatten, einander zu töten: ich, weil ich ihn beim Falschspielen erwischt hatte, und er, weil ich ihn ›geschlagen‹ hatte. Nachdem ich mich wieder beruhigt hatte, erklärte ich, dass ich auf mein Recht verzichten würde, ihn herauszufordern; er müsse sich nur für seinen Betrug entschuldigen, und damit wäre die Angelegenheit vergessen.
Natürlich brüllte ein Dutzend törichter, junger Männer Etienne etwas vom code duello ins Ohr. Sie sagten, niemand könne sich für einen Schlag entschuldigen; eine Entschuldigung reiche einfach nicht aus. Also sagte er, dass er kämpfen würde. In jener Nacht ging ich zu ihm, um ihm ins Gewissen zu reden.
Aber wenn man den Stolz und den Mut eines jungen Mannes in Frage stellt, treten der gesunde Menschenverstand und die Freundschaft ins zweite Glied zurück. Schließlich sagte er steif, dass er
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